FT: Zeit zum Streit –
Diskussion um die Neuregelung von Gentests an Embryonen

Zeit zum Streit – Diskussion um die Neuregelung
von Gentests an Embryonen

Der Bundesgerichtshof entdeckte die Gesetzeslücke unerwartet: Die
genetische Untersuchung künstlich befruchteter Embryonen ist in
Deutschland nicht geregelt, stellten die Richter im Juli fest, die
sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) sei „mithin erlaubt“.
Das Erstaunen war groß. Politiker aller Parteien waren jahrelang
selbstverständlich davon ausgegangen, dass es verboten sei,
Embryonen zielgerichtet zu untersuchen und sie bei Nichtgefallen zu
vernichten. Es herrschte Einigkeit: Diese Gesetzeslücke muss schnell
geschlossen werden. Doch schnell wird es nicht gehen, denn das Urteil
hat vieles verändert. Das Aussondern unerwünschter Embryonen ist
heute kein Tabuthema mehr. Den Befürwortern eines absoluten
PID-Verbotes – darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel – steht eine
wachsende Gruppe gegenüber, die die Möglichkeiten moderner
Gen-Diagnostik ausschöpfen will. Hauptargument: Das geltende Recht
erlaube den Schwangerschaftsabbruch, wenn zu befürchten ist, dass ein
Kind schwerkrank zur Welt kommt. Entsprechend müsse auch die Tötung
eines schwerkranken Embryos bereits vor Beginn der Schwangerschaft
möglich sein. So sieht es auch der gestern vorgestellte Entwurf
einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Parlamentariern vor:
Genuntersuchung und Vernichtung eines Embryos soll erlaubt sein, wenn
die Eltern von einer schweren erblichen Vorbelastung wissen oder wenn
eine Tot- oder Fehlgeburt droht. Doch ist dieser Entwurf nur der
erste von drei Anträgen. Ein zweiter sieht ein umfassendes PID-Verbot
vor, ein dritter erlaubt die PID, wenn der Tod des Kindes zu
befürchten steht. Diese Meinungsvielfalt ist gut. Der Streit um die
ethischen Grenzen moderner Medizin gehört zu den wichtigsten
Diskussionen, die wir aktuell führen. Deshalb ist es wichtig, die
Gesetzeslücke nicht zu schnell zu schließen, sondern wohldurchdacht.
Dabei sollte jeder Politiker nach seinem Gewissen entscheiden
können. Fraktionszwänge darf es in dieser Frage nicht geben.

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Flensburger Tageblatt
Anette Asmussen
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