Die Büchse der Pandora enthielt alle
Krankheiten, Laster und Untugenden, mit denen Zeus die Menschheit für
das geraubte Himmelsfeuer bestrafen wollte. Neugierige Menschen
sollen die Büchse trotz Verbots geöffnet haben, heißt es in der
griechischen Sage. Für die Gegner von Gentests an Em-bryonen, die in
der Petrischale entstanden sind, stellt die Untersuchungsmethode
unter dem sperrigen Fachbegriff Präimplantations-Diagnostik (PID) so
etwas wie das Öffnen der Büchse der Pandora dar. Wenn man diesen
Tests an Embryonen vor dem Einpflanzen in den Mutterleib auch nur
einen kleinen Spalt die Tür öffne, breite sich der Missbrauch aus,
würden Paare Babys nach Wunsch „designen“, würden Geschlecht, Haar-
oder Augenfarbe im Vorhinein ausgewählt. Embryonen, aus denen Kinder
mit vorhersehbaren schweren Krankheiten entstünden, würden
ausgelesen, „selektiert“ – ein Wort, das in Deutschland besonders
schlimme Erinnerungen wachruft – und vernichtet. Allerdings, keines
dieser schlimmen Szenarien würde Realität, wenn der gestern
vorgelegte Gesetzentwurf zur PID auch tatsächlich Gesetz würde. Was
die fraktionsübergreifende Initiative vielmehr will, ist im Gegenteil
etwas Segensreiches. Paare, bei denen einer oder beide Partner die
Veranlagung für schwerwiegende Erbkrankheiten in sich tragen, soll
durch die Möglichkeiten moderner Gen-Analyse zumindest etwas die
Furcht vor einer Fehl- oder Totgeburt und vor einem schwer kranken
Kind genommen werden. Eine Garantie für ein rundum gesundes Kind ist
die PID allerdings nicht, ein Restrisiko bleibt immer bestehen. Sie
kann jedoch den Kinderwunsch dieser Paare unterstützen, wenn sich die
Frau in freier Entscheidung zu einem Test entschließt. Die moderne
Gen-Diagnostik kann insofern das Ja zu einem eigenen Kind
erleichtern. Außerdem bietet der Gentest in der Petrischale den
Vorteil gegenüber dem Test am sich entwickelnden Embryo im
Mutterleib, dass Fehl- und Totgeburten oder Spätabtreibungen nicht in
Kauf genommen werden müssen. PID ist eine Methode, mit der Frauen,
die auf normalem Wege keine Kinder bekommen können, viel Leid erspart
werden kann. Dass sich zuletzt die CDU mit knapper Mehrheit auf ihrem
Parteitag in Karlsruhe sowie Angela Merkel gegen jegliche Gentests an
Embryonen ausgesprochen haben, verleiht der jetzigen Debatte
besondere Brisanz. Ein völliges PID-Verbot würde spätestens von den
Verfassungsrichtern gekippt. Die Konsequenz aus dem Total-Verbot, ein
de facto Zwang zum Einsetzen von Embryonen in den Mutterleib, ist
jedoch mit der Würde und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht zu
vereinbaren. Das müsste eigentlich auch Merkel wissen, die mit ihrer
Position offenbar bei den von ihr lange vernachlässigten
Unions-Konservativen andocken will. Bei der ebenfalls zutiefst
moralischen Frage des generellen Embryonenschutzes war die Kanzlerin
noch wesentlich liberaler. Ermutigend an der jetzigen Debatte ist
dennoch, dass sie herzerfrischend offen und quer über alle Fraktions-
und Parteigrenzen hinweg geführt wird. Ausgerechnet in einer
politisch, moralisch und rechtlich so umstrittenen Frage wie der
Präimplantations-Diagnostik gelten die sonst sorgfältig gepflegten
Abgrenzungsrituale nicht. Es ist sogar zu erwarten, dass sich der
Bundestag nach den Parlamentsdebatten über den Embryonenschutz oder
über die Patientenverfügung zu einer weiteren Sternstunde
aufschwingen kann.
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