Ein Kommentar von Christoph Rind
Zehn Morde werden dem Neonazi-Trio aus Thüringen zur Last gelegt –
mindestens. Das ist erschreckend genug. Dennoch steht eine weit
höhere Zahl von Tötungen und Körperverletzungen der vergangenen Jahre
im Zusammenhang mit ähnlich verabscheuungswürdigen Tätern und ihrer
Gesinnung, die sich selbst in der Tradition nationalsozialistischen
Gedankenguts sieht. Bisher deutet alles darauf hin: Die
Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutzämter müssen umdenken und
ihr Augenmerk stärker auf die Besonderheiten rechter Straftaten
richten. Eine Zentraldatei für rechtsextreme Gewalttaten ist ein
erster Schritt in diese Richtung. Weitere müssen folgen. Die
reflexhafte Forderung von Parlamentariern unterschiedlicher Parteien,
als nächste Konsequenz die NPD zu verbieten, gehört nicht in den
Katalog der drängendsten Maßnahmen. Zu viele Fragen sind offen. Ist
der NPD eine Verfassungswidrigkeit tatsächlich gerichtsfest
nachzuweisen? Dann hätte sie längst verboten werden müssen, am besten
geräuschlos, ohne die Begleitmusik eines aktuell populären
Aktionismus. Zwar sind laut Umfragen 70 Prozent der Bundesbürger
gerade für ein Verbot. Doch die obersten Verfassungsrichter
entscheiden nicht nach saisonal schwankenden Stimmungen von Umfragen.
Als Reaktion auf die erschreckende Dimension der rechten Gewalttäter
taugt ein Verbot schon gar nicht. Allein der über Jahre sich
hinziehende Rechtsweg spricht dagegen. Hinzu kommt das Trauma eines
bereits misslungenen Versuchs. 2003 hatte das
Bundesverfassungsgericht gefordert – bevor es zur Überprüfdung des
NPD-Verbots ansetzte -, die stattliche Zahl der V-Leute in deren
Führungsetagen abzuziehen. Eine Blamage, die nur wieder gutzumachen
wäre, wenn ein neuer Verbotsantrag mit deutlich besseren
Erfolgsaussichten auf den Weg gebracht werden könnte. Auch der
verständliche Unmut darüber, dass die NPD als (nicht verbotene)
Partei je nach Wählerzustimmung Geld aus dem Steuertopf bekommt, ist
kein tragfähiges Motiv, ein Finanzierungsverbot vorzuschlagen, wie es
gerade der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) getan
hat. Konsequent umgesetzt würde die Abschaffung dieser
Finanzierungshilfen am Ende alle Parteien treffen und damit unserer
bewährten Form der Demokratie mehr schaden als nützen. So menschlich
nachvollziehbar und ehrenwert der Ruf nach Verboten in diesen Tagen
auch klingt: Unser Rechtsstaat hat wirkungsvollere Methoden. Zumal
sich abstruse politische Verirrungen nicht per Gesetz aus der Welt
schaffen lassen. Bleiben wir bei den Fakten: Braunes Gedankengut
stößt insbesondere dort auf fruchtbaren Boden, wo junge Menschen ohne
Perspektive auf eine erfolgversprechende Zukunft nach Sündenböcken
Ausschau halten. In einem Umfeld mangelnder Bildung gedeiht der Hass
auf fremde Kulturen und fremde Menschen. Zum Widersinn verquerer
Gedanken gehört es, dass ausgerechnet dort, wo der Anteil der
Migranten in der Bevölkerung niedrig ist, die Angst vor Überfremdung
am stärksten auftritt. Der Weg aus den Irrungen ist mühsam und
langwierig, aber das einzige Mittel, den Sumpf brauner Gedanken
trockenzulegen: eine konsequente Hilfe mit dem Ziel, die sozial
Benachteiligten aus ihrer Nische zu holen, mit Bildungs- und
Arbeitsangeboten ihren Frust zu bekämpfen. Dass viele Hilfsprogramme
in den letzten Jahren gestrichen wurden, rächt sich auf diese Weise.
Aber es gibt auch hoffnungsvolle Ansätze. Tausende Bürger haben am
Wochenende in Hamburg, Berlin und München gegen rechte Gewalt
demonstriert. Und Experten sehen eine gewachsene Bereitschaft, aus
der rechten Szene auszusteigen. Ganz ohne Verbote.
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