Die FDP versteht sich gern als rationale Partei,
die zum Wohle der Bürger in Kosten-Nutzen-Rechnungen denkt. Im Moment
beschäftigt die Partei aber offenbar nur eine Rechnung – eine in
eigener Sache: Nützt der Partei ihr Vorsitzender noch, oder kostet er
ihr bitter benötigte Stimmen? Die Frage ist berechtigt. Die Liberalen
tapern auch im Jahr zwei der schwarz-gelben Koalition durch eine
programmatische Dunkelkammer. Und als vermeintliche
Mehr-Netto-vom-Brutto-Partei erlebt sie innerhalb der Regierung eine
Demütigung nach der anderen. Dass der Parteivorsitzende die
Hauptverantwortung für die dramatische Lage dieser zutiefst
verunsicherten Partei trägt, ist demzufolge auch nur eine rationale
Feststellung. Vollkommen irrational aber waren die Erwartungen, die
an Guido Westerwelles Rede beim Dreikönigstreffen gestellt wurden.
Von der Rede seines Lebens hatte man im Vorwege gesprochen, von einem
Auftritt, über den sich sein politisches Überleben entscheiden werde.
So ernst die Situation für die Partei in den Umfragen und im
Regierungshandeln auch sein mag: Westerwelle tat in Stuttgart gut
daran, die Erwartungen und die Spekulationen um seine baldige
Ablösung zu ignorieren. Jedes Wort in dieser heiklen Angelegenheit
hätte die Nachfolgedebatte weiter angeheizt und wäre den
Westerwelle-Kritikern eine Bestätigung gewesen. Der Parteichef aber
will so schnell nicht aufgeben. Dieses klare Signal von Stuttgart
dürfte nun jeder kritische Liberale erkannt haben. Wer jetzt noch
eine bessere Lösung kennt, hätte sie längst präsentieren müssen. Der
Vorsitzende wiederum weiß nun um seine Pflicht, als Chefwahlkämpfer
das Überleben der Partei in den Länderparlamenten zu sichern. Er weiß
genauso um seine Pflicht, dafür persönlich geradezustehen, wenn 2011
als Annus horribilis in die Geschichte der Liberalen eingeht.
Westerwelles Pflicht wird seine letzte Chance, die verloren gegangene
Glaubwürdigkeit in Stadthallen und auf Marktplätzen zurückzugewinnen.
Die Partei wird den Chef dabei mit einer Gefühlslage aus Argwohn und
gutem Glauben beobachten. Die Liberalen haben schließlich nicht
vergessen, wem sie das sensationellste Wahlergebnis ihrer Geschichte
zu verdanken haben. Die FDP ist nun mal eine rationale Partei.
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