HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandpresse, Hamburger Abendblatt zu Linken und Kommunismusdiskussion

Bankenkrise samt Manager-Boni, Wirtschaftskrise,
Euro-Krise, Arbeitslosigkeit, Lebensmittelskandale – die Liste der
Unzulänglichkeiten und Angriffspunkte des Kapitalismus ließe sich
noch fortsetzen. Und sie scheint jene zu ermutigen, die das Gespenst
des Kommunismus wieder beleben wollen. Gesine Lötzsch ist so jemand.
Die Vorsitzende der Linken hält die Zeit für gekommen, ihr
politisch-ideologisches Ziel wieder klar auszusprechen: den
Kommunismus. Nun hat die Idee der klassenlosen Gesellschaft, in der
jeder nach seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten solidarisch mit
allen anderen lebt, durchaus ihren Charme. Nur widerspricht sie allen
Erfahrungen über die Natur des Menschen, die außer von Nächstenliebe,
Altruismus und Einsicht in Notwendigkeiten auch von Egoismus, dem
Streben nach Eigentum und Macht gekennzeichnet ist. Diese Triebkräfte
gilt es durch Normen und Gesetze zu regeln und nutzbar zu machen. Sie
lassen sich nicht durch die Wiederholung ideologischer Mantras aus
der Welt schaffen. Auch in den bisherigen Kommunismus-Versuchen gab
es immer eine macht- und sendungsbewusste Kaste, die deutlich
gleicher war als die anderen, die sich im Besitz der allumfassenden
Wahrheit wähnte und diese mit allen Mitteln durchzusetzen versuchte.
Frau Lötzsch sollte sich daran noch erinnern. Auch daran, dass die
DDR-Diktatur zwar eine der harmloseren im Vergleich mit der
sowjetischen, chinesischen, kambodschanischen oder der immer noch
existenten nordkoreanischen war. Aber auch dieser Versuch endete im
wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Desaster. Sich
jetzt hinzustellen und darüber zu sinnieren, doch wieder diesen oder
jenem Weg zum großen Ziel auszuprobieren, ist angesichts von
Millionen Toten, Enteigneten und Entrechteten reichlich zynisch. Es
lässt erahnen, dass die mühevolle Programmsuche und das Gerede der
vergangenen Jahre vom demokratischen Sozialismus und allerlei
Reformbemühungen doch eher taktischer Natur waren. Zumindest bei dem
Teil der Genossen, die sich ihr weltanschauliches Rüstzeug in der
Zeit zulegten, als die Partei noch SED hieß. Und es sollte jene
nachdenklich stimmen, die in der Linken einen geeigneten politischen
Partner sehen, der ohne Wenn und Aber zur freiheitlich demokratischen
Grundordnung steht und den man durch Einbindung in
Regierungsstrukturen schon irgendwie domestizieren werde. Frau
Lötzsch war ehrlich. Also: vorwärts und nicht vergessen!

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