Patrouillenboote nach Angola, die neuesten
Leopard-2-Kampfpanzer nach Saudi-Arabien: Deutsche Rüstungsexporte
sorgen für Schlagzeilen. Besonders der Panzer-Deal mit dem
ultrakonservativen Königshaus in Riad ist umstritten. Waren es doch
saudische Panzer, die den Aufstand in Bahrain niederwalzten. Der
Schweizer Strategieexperte Prof. Albert Stahel kritisiert die
fehlende strategische Tiefe in der deutschen Außenpolitik.
Der nicht offziell bestätigte Panzer-Deal sorgt in Deutschland für
Aufregung. Aus der neutralen Schweiz betrachtet: Ist die Aufregung
gerechtfertigt?
Prof. Albert A. Stahel: Ja, das würde ich sagen. Mich wundert dies
zum ersten, weil die saudische Armee bis dato weitgehend mit
amerikanischem Material ausgerüstet ist. Von daher ist der Leopard 2
nicht gerade kompatibel. Zum zweiten erfolgt diese Waffenlieferung in
eine geopolitisch heiße Gegend. Das ist nicht das Signal, das aus
Europa kommen sollte.
Die Golf-Anrainer rüsten sich bei westlichen Waffenschmieden
massiv auf..
Prof. Stahel: Hintergrund ist die traditionelle Rivalität zwischen
Saudi-Arabien und Iran. Verschärfend wirkt sich der anstehende Abzug
der Amerikaner aus dem Irak aus. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit
des Irak hegt freundschaftliche Gefühle gegenüber dem schiitischen
Iran. Von Riad ist dagegen eine Unterstützung aufständischer Sunniten
zu erwarten. Eine Waffenlieferung angesichts eines derartig
aufgeheizten politischen, religiösen und ethnischen Gegensatzes ist
nicht geeignet, die Lage zu beruhigen.
Droht ein Waffengang? Prof. Stahel: Nein, aber eine politische
Konfrontation, die eskalieren kann. Man darf auch nicht außer Acht
lassen, dass beide Akteure in Afghanistan gegensätzliche Interessen
verfolgen.
Wächst in Riad die Furcht vor einer Vormacht Iran am Golf, seit
die USA den Konkurrenten Irak aus dem Spiel genommen haben?
Prof. Stahel: Ja, wie damals der saudische König US-Präsident Bush
sagte: „Ihr habt den Irak dem Iran auf einem Silbertablett serviert.“
Die Vorherrschaft der sunnitischen Minderheit unter Saddam Hussein
wurde abgelöst durch eine Herrschaft der schiitischen Mehrheit. Hinzu
kommt das Problem Syrien: Obwohl säkular, lehnt sich das Regime Assad
stark an Teheran an. Die Situation für Saudi-Arabien ist kompliziert.
Wird sie noch zusätzlich verkompliziert durch die Möglichkeit
eines israelischen Schlages gegen Irans Atomanlagen?
Prof. Stahel: Diese Option besteht. Wobei das iranische
Atomprogramm durch den eingeschleusten Stuxnet-Wurm offenbar
erheblich zurückgeworfen wurde. Derzeit steht ein solcher Schlag wohl
nicht kurzfristig bevor, er wird zudem in Israel kontrovers
diskutiert. Doch auch ohne diesen Konflikt ist die Lage explosiv.
Schon allein, weil das Gros der schwindenden Erdölvorräte der Welt
ebenso in dieser Region liegt wie Schifffahrtsrouten, die für den
Westen überlebenswichtig sind.
Steigern deutsche Kampfpanzer die bisher schwache Kampfkraft der
saudischen Armee so sehr, dass sie sich gegen Iran behaupten könnte?
Prof. Stahel: Ich würde den militärischen Wert nicht so hoch
veranschlagen. Aber da Waffen zur Schau gestellt werden, wirkt sich
die militärische Unterstützung durch Deutschland politisch aus.
Schlussendlich ist für Riad der Schutz durch die US-Luftmacht
entscheidend. Aber die direkte Einmischung einer
kontinentaleuropäischen Macht in der Region verändert die
psychologische Lage.
In der Vergangenheit waren deutsche Waffenexporte nach
Saudi-Arabien oft abgelehnt worden mit dem Verweis auf die besondere
deutsche Verantwortung für Israel…
Prof. Stahel: Für Israel ist diese Panzer-Lieferung nicht wirklich
von Bedeutung. Als militärische Groß- und Nuklearmacht sind sie kaum
verwundbar. Sie verfügen zudem über das einzige funktionierende
Abwehrsystem gegen Boden-Boden-Raketen.
Muss man von einer Zustimmung Jerusalems zum Panzer-Deal,
vielleicht sogar einer stillen Allianz von Saudi-Arabien und Israel
gegen Iran ausgehen?
Prof. Stahel: Es gibt seit längerem einen stillen Pakt zwischen
Israel und Saudi-Arabien, weil sie einen gemeinsamen Feind haben: die
Schiiten im Iran sowie in der Hisbollah, die vom Libanon aus
operiert.
Wäre Europa nicht besser beraten, das sich „demokratisierende“
Ägypten zum sunnitischen Prellbock gegen Teheran aufzubauen statt die
ultrakonservativen Saudis?
Prof. Stahel: Zunächst wäre vor allem europäische soft power
gefragt — die Vorbildfunktion, die diplomatisch in die Waagschale
geworfen werden kann. Und dann müsste in der Tat vor allem Ägypten
gestützt werden, nicht in erster Linie wegen der Gefährdung durch den
Iran, sondern weil Ägypten der Schlüsselstaat der Region ist. Es wäre
sinnvoll, diesen Angelpunkt Arabiens mit allen Mitteln zu
unterstützen.
Sollte der Westen sogar auf die zurzeit unterdrückte iranische
Opposition setzen?
Prof. Stahel: Unbedingt. Diese Soft-Power-Karte sollte der Westen
spielen. Die gebildete Jugend Irans ist westlich orientiert. Sie
sollte nicht vernachlässigt werden. Schon gar nicht angesichts der
fehlenden Stabilität des Mullah-Regimes. Fehlende wirtschaftliche
Perspektiven und Machtkämpfe zwischen Theokraten und
Revolutionswächtern haben dazu geführt, dass das Regime das Volk
längst nicht mehr so allumfassend kontrolliert wie noch vor 15, 20
Jahren. Nur, wenn sich der Westen jetzt für die Opposition engagiert,
wäre er für den Fall gewappnet, dass das Regime implodiert.
Die Leo2-Panzer der neuesten Generation sollen sich laut SIPRI
besonders gut zur Einschüchterung Aufständischer eignen. Unterläuft
Deutschland seine eigenen Waffenexport-Standards?
Prof. Stahel: Kampfpanzer haben als Hauptwaffen moderner Kriege
ausgedient. Wichtiger sind heute Hubschrauber, Kampfjets und Drohnen.
Kampfpanzer sind heute Unterstützungswaffen und werden natürlich auch
eingesetzt zur Niederschlagung von Aufständen. Auch in diesem Sinne
setzt man ein falsches Signal.
Waffen an libysche Aufständische zu liefern, war für Berlin tabu.
Waffen für diejenigen, die den Aufstand in Bahrain niederwalzten,
sind dagegen ok….
Prof. Stahel: Das ist das Paradoxe. Ich verstehe diesen Kurs
nicht. Lange wurde der Irak als Gegengewicht zu Teheran aufgerüstet.
Mit bekanntem Ergebnis. Fehlt es westlicher Außenpolitik an
strategischer Tiefe? Prof. Stahel: Das ist das Merkwürdige.
Einerseits behauptet Berlin, Realpolitik zu betreiben, indem es den
strategischen Partner Saudi-Arabien unterstützt. Andererseits
betreibt man Wertepolitik. Strategisches Denken ist in der
Europäischen Union inexistent.
Der deutsche Außenminister ermunterte die ägyptischen
Aufständischen, verweigerte den libyschen Rebellen Hilfe und stützt
jetzt die Saudis. Wie bewerten sie Berlins Kurs während der
arabischen Rebellion?
Prof. Stahel: Diffus und unklar. Zugleich Aufständische zumindest
verbal und ein extrem rückwärtsgewandtes Regime real mit Waffen zu
unterstützen kann nur, wer keine Linie hat. So kann das deutsche
Engagement in Afghanistan unter anderem mit dem Einsatz für die
Rechte der Frau begründet werden und zugleich das Frauen
unterdrückende Regime in Riad hofiert werden. Das Interview führte
Joachim Zießler
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