Ist der „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel ein
vorbildlicher Vertreter der deutschen Militärgeschichte? Was kann die
Bundeswehr bewahren? Gerade in Zeiten einer sich wandelnden Truppe
brauchen Soldaten Vorbilder. „Männer des militärischen Widerstands
lassen die moralische Dimension erkennen, die dem Beruf erst Sinn
gibt“, meint Oberst Dr. Winfried Heinemann vom Militärgeschichtlichen
Forschungsamt Potsdam.
Brauchen Soldaten Helden als Vorbilder?
Oberst i.G. Dr. Winfried Heinemann: Nein, sie brauchen keine
Helden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut als Vorbilder.
Genügt Soldaten der aktuelle Auftrag, um den Sinn ihres Dienstes
zu sehen?
Oberst Dr. Heinemann: Ein Auftrag ist ein Auftrag und Sinn ist
Sinn: Ein Auftrag ist lediglich der Befehl, um etwas Bestimmtes zu
erreichen. Der Sinn des Dienstes liegt tiefer: der Bundesrepublik
Deutschland treu zu dienen und Recht und Freiheit des deutschen
Volkes tapfer zu verteidigen.
Die Bundeswehr hat eine 57-jährige Geschichte. Bietet diese Ära
nicht genug Stoff, um eine eigene Tradition zu begründen?
Oberst Dr. Heinemann: Die Geschichte der Bundeswehr – gerade im
Kalten Krieg – bietet in der Tat genug Anknüpfungspunkte für eine
Tradition. Wenn die Soldaten ihre Vorbilder aber auch in anderen
Epochen der deutschen Geschichte suchen, ist das in meinen Augen auch
nicht unanständig. Wir können deutsche Geschichte nicht auf die Jahre
nach 1945 reduzieren. Aber wir müssen in all diesen Epochen sehr
sorgfältig auswählen.
200 Jahre war beispielsweise höchst umstritten, ob man von
Clausewitz etwas lernen könne. Heute studieren Generalstabsoffiziere
an den Führungsakademien der Bundeswehr wieder „Vom Kriege“. Was hat
sich geändert?
Oberst Dr. Heinemann: Es hat sich in den vergangenen 50 Jahren
nicht allzu viel geändert, wenn man die wesentliche Aussage
Clausewitz– darin sieht, dass Krieg eine Fortsetzung der Politik ist,
das heißt, dass Krieg eine politisch kontrollierte Sache ist. Das ist
gute alte deutsche Militärtradition, die zur Zeit des Dritten Reiches
in Vergessenheit geraten ist, weil damals Krieg völlig entgrenzt
worden ist. Von daher ist die Rückbesinnung auf Clausewitz eine
Rückbesinnung auf das Primat der Politik, wie es das Grundgesetz
ohnehin vorsieht. Von daher ist das kein schlechter Trend.
Ist Krieg als Fortsetzung der Politik mit speziellen Mitteln auch
deswegen nicht mehr verpönt, weil sich die Abschreckungsarmee in eine
Interventionsarmee wandelt?
Oberst Dr. Heinemann: Die Bundeswehr ist keine Innovationsarmee
und wandelt sich auch nicht in diese Richtung. Sie ist nach wie vor
ein Instrument von Politik. Die muss sich heute anderen Bedrohungen
stellen als vor 30 Jahren. Deshalb wandelt sich auch der Auftrag für
die Bundeswehr. Das ändert aber nichts daran, dass die Bundeswehr
letztlich Teil der staatlichen Sicherheitsvorsorge ist.
Reicht der Rückgriff auf die friedensbewahrende Rolle im Kalten
Krieg wegen der aktuell völlig anderen Aufgaben nicht mehr aus, um
sich als Teil einer Tradition zu sehen?
Oberst Dr. Heinemann: Wir dürfen Tradition nicht auf Vorbilder
reduzieren, wenn es auch dazugehört, sie mit Namen zu verknüpfen.
Aber die Bereitschaft, sich als Staatsbürger ganz für dieses Land
einzubringen, sich auch massiv am Sicherheitsdialog zu beteiligen –
wie das die Bundeswehr in den 80er-Jahren getan hat, als dies ein
sehr kontroverses Thema war –, ist auch Teil der Tradition. Es ist
ebenso Teil der Tradition, dass sich Soldaten in ihren Standorten
aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen. Aber obwohl ich
Traditionspflege nicht nur an Namen knüpfen möchte, gibt es Personen
gerade aus dieser Zeit, die Vorbildfunktion haben können: Da sind die
Väter der Philosophie der inneren Führung: Wolf Graf von Baudissin
und Ulrich de Maizière. Da sind die ersten Verteidigungsminister, die
die Bundeswehr geprägt haben: Theodor Blank und Franz Josef Strauß.
Aber auch andere wie der Generalinspekteur Admiral Armin Zimmermann,
der im Dienst starb.
Soldaten wollen sich gerne als Teil einer langen Generationenfolge
von Soldaten sehen, denen sie sich verbunden fühlen. Verhindern
Hitlers Kriege eine derartige Selbstdefinition?
Oberst Dr. Heinemann: Die Erfahrung der verbrecherischen Kriege,
die von Deutschen geführt wurden – es ist nicht Hitler alleine
gewesen, der Verbrechen verübte -, macht es sicher schwerer,
unbefangen militärische Traditionen zu pflegen. Aber wir haben vor
1933 und vor 1914 vorzeigbare Elemente in der deutschen
Militärgeschichte, an die wir anknüpfen können. Nehmen wir etwa
Clausewitz, Scharnhorst und die anderen preußischen Reformer:
Natürlich waren sie keine Anhänger der parlamentarischen Demokratie.
Trotzdem waren sie in ihrer Zeit vorbildlich. Darauf können sich auch
heutige Soldaten beziehen.
Ist es nicht willkürlich, sich ausschließlich in der Tradition der
Widerstandskämpfer in Uniform zu sehen?
Oberst Dr. Heinemann: Das tut die Bundeswehr schon seit 1955, ganz
bewusst – aber dennoch ist es nicht willkürlich. Denn die
Bundeswehrführung ist sich in all den Jahren bewusst gewesen, dass
man mehr braucht als nur den konkreten Auftrag, nämlich einen
konkreten Sinn. Das heißt, dass man in seinem Beruf auch eine
moralische Dimension erkennen können muss. Und dafür stehen Männer
wie Stauffenberg und Hans Scholl, der auch Soldat war. Das sind
geeignete Vorbilder für die Bundeswehr.
Andere Namen sind umstritten: Kasernen dürfen seit 2005 nicht mehr
nach dem hochdekorierten Jagdflieger Mölders benannt werden. Welche
Kriterien müssen Vorbilder für die Bundeswehr erfüllen?
Oberst Dr. Heinemann: Zwar müssen Soldaten auch aus ihrer Zeit
heraus begriffen werden. Dennoch darf man nicht übersehen, dass
Soldaten, die im Dritten Reich gedient haben, ihr Engagement, ihre
taktisch-operativen Fähigkeiten und ihre Tapferkeit in den Dienst
einer verbrecherischen Sache gestellt haben. Und das entwertet ein
Stück weit die Vorbildfunktion solchen Handelns. Wir wollen keine
Soldaten, die sich bedingungslos jedem denkbaren Auftrag zur
Verfügung stellen. Wir wollen Soldaten, die wissen, dass ihr Handeln
moralisch rückgebunden ist. Deshalb können Soldaten, die sich
unmoralischen Aufträgen bedingungslos zur Verfügung gestellt haben,
keine Vorbilder für Soldaten der Bundeswehr sein.
Die Grenze zwischen Schwarz und Weiß verläuft oft fließend. Über
Erwins Rommels Nähe oder Distanz zum Nationalsozialismus wird derzeit
diskutiert. Welchen Sinn macht Traditionspflege, die von neuen
Historikerfunden ad absurdum geführt werden kann?
Oberst Dr. Heinemann: Traditionspflege wird heute nicht durch
Aktenfunde von Historikern ausgehebelt. Sie haben das Beispiel
Mölders genannt: Wir wissen über Mölders heute nicht wesentlich mehr
als 1973, als Bundespräsident Heinemann zugestimmt hat, das
Jagdgeschwader 74 nach Mölders zu benennen. Was sich verschoben hat,
sind die Werte. Wir leben in einer Welt des schnellen Wertewandels –
und Tradition ist wertebezogen. Dazu müssen wir stehen. Dinge werden
heute anders bewertet als noch vor Jahrzehnten. So wurde 2005
entschieden, dass ein Mitglied der Legion Condor nicht als
Namensgeber für die Bundeswehr taugt. In Sachen Rommel nehme ich eine
eigene Position ein: Natürlich ist der „Wüstenfuchs“ auch eine
Propandagestalt gewesen. Würde sich seine Rolle darin erschöpfen,
wäre ich auch der Meinung, dass Rommel kein Traditionsträger für die
Bundeswehr sein kann. Aber Rommel war jemand, der am Ende seiner
Karriere und seines Lebens begriffen hat, dass sein hoher Rang als
Generalfeldmarschall von ihm verlangt, jetzt tätig zu werden und den
Krieg im Westen zu beenden. Dafür traf er konkrete Vorbereitungen.
Grund genug für Hitler, Rommel zum Selbstmord zu zwingen. Das, finde
ich, macht ihn schon traditionswürdig. Aber bei Rommel kann man
natürlich auch mit Fug und Recht anderer Auffassung sein. Das ist
aber entscheidend: Soldaten diskutieren letztlich den Wertebezug
ihres Berufes, wenn sie analysieren, ob ein so ambivalenter Offizier
zum Vorbild taugt.
Inwieweit prägen Traditionen auch die Strategie?
Oberst Dr. Heinemann: Das Auftragswesen als Führungsprinzip ist
selbstverständlich deutsche Militärtradition. Die Weiterentwicklung
der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz hat auch auf dieses
Führungsprinzip Auswirkungen, steht zum Teil auch im
Spannungsverhältnis dazu. Aber das ist mehr als Tradition, weil
dieses Prinzip auch einen Wertebezug hat: Es nimmt den unterstellten
Soldaten als Person ernst und ermöglicht ihm eigenständige
Entscheidungen. Gleichwohl ist es auch einfach ein Element
militärischer Führung, weil es letztlich bei einem unübersichtlichen
Gefechtsgeschehen zweckmäßig und sinnvoll ist.
Angelsächsische Historiker vergleichen die Kampfkraft der
Wehrmacht mit anderen Armeen und loben diese – wobei sie dabei deren
Rolle im Vernichtungskrieg ausklammern. Vermissen Bundeswehrsoldaten
die Unbefangenheit in der Traditionspflege?
Oberst Dr. Heinemann: Mag sein, dass sie diese Unbefangenheit
vermissen. Wir können aber mit der deutschen Militärgeschichte nicht
so unbefangen umgehen wie andere Nationen. Wir müssen sehr kritisch
hinterfragen, was wir als positiv besetzt aus der deutschen
Militärgeschichte auswählen.
Das Interview führte Joachim Zießler
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