Mittelbayerische Zeitung: Die schöne Renten-Fassade Ursula von der Leyen widmet sich der Altersarmut. Doch die Zuschussrente geht am eigentlichen Problem vorbei. Von Stefan Stark

Es gibt eine Langzeitbaustelle, an der nun
schon seit Jahrzehnten gehämmert, herumgeschraubt und
geflickschustert wird. Doch es will einfach kein Gebäude
herauskommen, das für mehrere Generationen tragfähig ist. Die Rede
ist von der gesetzlichen Rentenversicherung, an der sich im
Augenblick Ursula von der Leyen mit einem Pinselchen als
Fassadenverschönerin versucht. Die Arbeitsministerin hat – und das
ist vom Ansatz her löblich – die Armut im Alter als Problem erkannt.
Es geht um Menschen, die trotz jahrzehntelanger Arbeit eine Rente
bekommen, die zu wenig zum Leben ist. Leute, die für Niedriglöhne
geschuftet haben, Frauen, die vielleicht wegen der Kinder lange nur
Mini-Jobs-gemacht haben. Arbeitslose, die mit 50 nie mehr eine
reguläre Stelle bekamen. Beschäftigte, die ohne Schuld oft geheuert
und bald wieder gefeuert wurden. Bürger also, die wegen Hungerlöhnen
wenig Beiträge gezahlt haben und im Alter eine Hungerrente bekommen.
Solche Fälle von Armut werfen große soziale Fragen auf und berühren
das Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung. Insofern wäre es
begrüßenswert, wenn die Politik die Probleme an der Wurzel packen
würde – zum Beispiel mit einem gesetzlichen Mindestlohn und über eine
großzügigere Anerkennung von Erziehungszeiten. Von der Leyen aber tut
mit ihrem Vorhaben etwas in eigener Sache: Im Jahr vor der
Bundestagswahl stilisiert sie sich zu einer Art Mutter der sozialen
Gerechtigkeit. Das Wort Zuschussrente hört sich ja nach einem großen
Versprechen an. In Wahrheit jedoch handelt es sich um eine
Mogelpackung. Denn die Hürden, die die Ministerin aufgebaut hat, sind
so hoch, dass zunächst nur eine sehr überschaubare Zahl armer Rentner
zusätzliches Geld vom Staat erhalten würde. Zudem weist die
Initiative der CDU-Ministerin einen hochproblematischen
Konstruktionsfehler auf: Von der Leyen will die Mittel für die
Zuschussrente aus der Rentenkasse nehmen. Damit würde das System
jedoch zweckentfremdet und das Gerechtigkeitsprinzip des Rententopfs
auf den Kopf gestellt. Es basiert eben auf der Regel, dass sich die
Höhe der Altersbezüge an der Höhe der eingezahlten Beiträge und an
der Zahl der Beitragsjahre bemisst. Die Zuschussrente würde genau
dieses Prinzip aushöhlen und ganz andere Gerechtigkeitsfragen
aufwerfen. Etwa bei denen, die die Kriterien für den
Von-der-Leyen-Bonus mehr oder weniger knapp verfehlen. Dabei verfügt
der Staat mit der Grundsicherung bereits über ein Instrument, mit dem
sich Altersarmut wirksam bekämpfen ließe. Man müsste die Leistungen
nur entsprechend anheben. Außerdem wäre diese Lösung gerechter, weil
sie aus Steuermitteln finanziert wird. Bei diesem Modell würden also
alle zur Kasse gebeten – bei der Zuschussrente hingegen nur die
Beitragszahler. Das Gebot der Stunde aber wäre, die Rentenkasse zu
schonen. Man darf sich von der für 2013 angekündigten Beitragssenkung
nicht täuschen lassen: Nur die immer noch gute Wirtschaftslage hat
zusätzliche Milliarden in die Rentenversicherung gespült, sodass die
Rücklagen nun 1,5 Monatsausgaben übersteigen. In diesem Fall ist die
Regierung gesetzlich gehalten, den Beitrag zu senken. Es ist also
kein Geschenk für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das von der Leyen in
Aussicht stellt – sie kommt lediglich einer automatischen Regelung
nach. Die Rentendebatte böte eine Chance, endlich das eigentliche
Problem anzugehen. Denn der inzwischen nicht mehr umkehrbare
demografische Wandel wird das System immer mehr an seine Grenzen
führen. Um die Rentenversicherung vor dem absehbaren Kollaps zu
bewahren, müsste man zusätzliche Wände einziehen – etwa, indem man
künftig alle Arten von Einkünften und alle Berufe zur Finanzierung
heranzieht. Falls das nicht geschieht, ist das System in zwei
Generationen entweder am Ende, weil dann ein Arbeitnehmer einen
Ruheständler finanzieren muss. Oder die Nation diskutiert dann über
die Rente mit 77.

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