Eine Schule ist ein ganz besonderer Ort. Für
unsere Kinder ist es der Ort, an dem sie wachsen können, sich
ausprobieren, sich erleben. Eine Zwischenwelt zwischen behütetem
Zuhause und Arbeitsleben. Eltern vertrauen darauf, dass ihre Kinder
hier sicher und beschützt all das lernen und erfahren, was sie im
Leben brauchen. Und für tausende engagierende Pädagogen ist die
Schule der Platz, an dem sie sich verwirklichen und jungen Menschen
einen gelungenen Start ins Leben ermöglichen können. Ein Anschlag auf
einem solchen Ort trifft die Gesellschaft mitten ins Herz. Ein
Anschlag auf unsere Schulen trifft jeden von uns. Auch deshalb ist
die Frage nach dem Warum so quälend. Auch noch zehn Jahre nach jenem
fürchterlichen Tag, an dem ein Schüler ein Erfurter Gymnasium – sein
Gymnasium – betrat und dort zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine
Sekretärin, einen Polizisten und schließlich sich selbst erschoss.
Kein Einzelfall: Erfurt steht in einer traurigen Reihe mit Winnenden,
Emsdetten, Ansbach. Nie sind es Täter von außen. Immer sind es
Schüler, die an diesen Schulen, in diesen Schulgemeinschaften
aufgewachsen sind. Wie kann so etwas passieren? Schule kann auch
schrecklich sein. Schulen sind Orte, an denen sich Zukünfte und
Lebenspläne entscheiden, an denen die Weichen zwischen Hartz IV- und
Managementkarrieren gestellt werden können. Und gerade hier kämpfen
Schüler mit Gruppen- und Leistungsdruck inmitten der Wirren der
Pubertät, Eltern hadern mit dem Wissen um die Nöte ihrer Sprösslinge
und die Anforderungen der Zukunft, Lehrer verzweifeln an
Lehrplandruck und Personalmangel, an der Kluft zwischen eigenem
Anspruch und Wirklichkeit. Der Blick auf den Einzelnen geht da
schnell verloren. Das entschuldigt nichts und erklärt doch vieles:
Unsere Schulen sind nun mal Spiegel unserer Gesellschaft. Leistungs-
und Leidensdruck der Bankenkrisen- und Prekariatsjobsgesellschaft
sind auch hier spürbar. Wenn nach jedem grausigen Amoklauf, bei dem
aus einem Sohn und Mitschüler ein Mörder wird, die Diskussionen um
Waffenrecht und Killerspiele aufflammen, dann hat das seine
Berechtigung. Und doch bleibt ein solcher Ansatz an der Oberfläche,
entpuppt sich schnell als reflexhafter Versuch, Symptome eines Übels
zu kurieren, dessen Wurzeln man nicht erreicht. Gefährlicher noch
sind Forderungen, strengere Sicherheitsvorkehrungen an unseren
Schulen zu etablieren: Metalldetektoren etwa, Sicherheitspersonal,
Taschenkon-trollen. Wir würden aus unseren Schulen Lernfestungen
machen, in denen die Angst ständiger Begleiter ist. Und das dort, wo
mehr als irgendwo sonst Menschlichkeit und Vertrauen das Beste aus
einem Menschen herausholen können. Nein, es gibt keine schnellen,
keine einfachen Lösungen. Letztlich ist es die Gemeinschaft und so
jeder einzelne Schüler, Lehrer, jede Mutter und jeder Vater, denen es
gelingen muss, Druck und Anspannung, Sorgen und Nöte von den
Schultern des einzelnen zu nehmen und zu teilen. Dafür muss es Raum
geben – auch im Schulalltag. Schulpsychologen, Beratungslehrer und
Klassenlehrerstunden können helfen, diejenigen aufzufangen, die in
grausame Fantasiewelten abzudriften drohen. Das sind kleine,
mühevolle, vielleicht auch teure Schritte, die gegangen werden
müssen, und ganz verhindern wird man Amokläufe nie können. Aber wenn
auch nur ein einziger Schüler Schüler bleibt, anstatt Mörder zu
werden, dann schon hat sich die Anstrengung gelohnt. Autorin: Katia
Meyer-Tien
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