Mittelbayerische Zeitung: Kommentar/Leitartikel der Mittelbayerischen Zeitung Regensburg zur Steuerdiskussion

Schulden und Gerechtigkeit

Erst im Herbst sagt die Koalition, wo Steuern gesenkt werden. Ein
Thema für die politische Sommerbühne.

Die Merkel, Rösler und Seehofer wollten Christkind und
Weihnachtsmann zugleich spielen. Noch vor der Sommerpause verkündeten
die Spitzen der Koalitionsparteien, dass im Herbst, gleich nach der
Steuerschätzung, dem Volk mitgeteilt werde, wo genau und wie viel
Steuern für untere und mittlere Einkommen gesenkt werden sollen. Mit
anderen Worten, die Schwarz-Gelben haben das Päckchen schon
eingewickelt. Hineinschauen aber darf der Bürger noch nicht. Das ist
nicht nur eine seltsame Form von herrschaftlicher
Ankündigungs-Politik – und somit demokratischen Spielregeln
zuwiderlaufend, vor allem Transparenz – , sondern auch taktisch ein
Schuss in den Ofen. Wenn die Drei von der schwarz-gelben Zankstelle
meinten, mit einer hohlen Ankündigung das Thema Steuersenkungen von
der politischen Sommerbühne nehmen zu können, haben sie sich
gründlich getäuscht. Genau dort wird es zurzeit aufgeführt. Mal als
Komödie, mal als Drama. Mal alles in einem. Soll man nun lachen oder
weinen, wenn Merkel der siechenden FDP erlaubt, ihr einstiges
Lieblings-Thema im neuen Gewande zu präsentieren? Die politische
Absicht hinter dem Steuersenkungs-Deal ist so vordergründig, dass sie
jedem ins Auge springen muss. Man reibt sich höchstens verwundert die
Augen, dass die Schwarz-Gelben dieses Motiv nicht einmal zu
verschleiern suchen. Diese Koalition muss bis 2013 zusammenhalten,
komme, was da wolle. Interessanterweise kreuzen sich die Interessen
der drei Parteien bis zum Jahr der Bundestagswahl: Merkel hofft, dass
die CDU bis dahin wieder Luft unter die Flügel bekommt und dass der
grün-rote Höhenflug beendet ist. Die Rösler-Liberalen indes zünden
jeden Tag eine Kerze an, dass sie als politische Kraft erhalten
bleiben mögen. Und die Seehofer-CSU will sich notfalls auch auf
Kosten der Berliner Koalition für die nächste Landtagswahl im
Freistaat – vielleicht sogar mit der Bundestagswahl zusammen – fit
machen. Etwas mehr Steuergerechtigkeit für die kleinen Leute wird der
CSU-Chef dabei gewiss an die weiß-blauen Fahnen heften. Abseits
dieser politischen Sandkastenspiele bestimmen vor allem zwei Fakten
die steuerpolitische Situation: Erstens steht der deutsche Staat mit
rund zwei Billionen Euro in der Kreide. Täglich müsen Bund, Länder
und Kommunen fast 100 Millionen Euro für den Schuldendienst
hinblättern. Angesichts dieses Schuldendesasters verbieten sich
Steuersenkungen eigentlich von selbst. Doch die Betonung liegt auf
„eigentlich“. Denn zweitens ist es unbestreitbar, dass der derzeitige
Aufschwung an den unteren Einkommen nahezu spurlos vorbei geht. Etwas
mehr Brutto wird noch dazu von der kalten Steuerprogression
aufgefressen. Allerdings müssen dringend angezeigte Entlastungen auch
gegenfinanziert werden. Steuersenkungen auf Pump verbieten sich.
Nicht nur wegen der bald greifenden Schuldenbremse, sondern auch aus
Gründen der Generationengerechtigkeit. Wohin es führt, wenn ungeniert
öffentliche Schulden aufgetürmt werden, zeigen leidvoll gerade die
USA. Auf der anderen Seite dürfen kleine Steuerentlastungen in
Deutschland nicht dadurch konterkariert werden, dass etwa
Sozialbeiträge, Kita-Gebühren oder Eintrittspreise in öffentliche
Einrichtungen steigen. Und dass sich eine Steuerreform quasi von
allein finanziert, glaubt wohl nur FDP-Wunder-Heiler Philipp Rösler.
Statt neue Beiträge fürs Sommertheater zu liefern, sollten die
Berliner Koalitionäre endlich Nägel mit Köpfen machen, den Haushalt
konsolidieren und an einigen Stellen entlasten.

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