Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel „Mittelbayerische Zeitung“ (Regensburg) zu Lebensmittelskandal:
Die Menschheit ist immer mehr auf industrielle Nahrungsmittelproduktion angewiesen. Vollen Schutz kann es nicht geben.

Ganz ehrlich: Sind Sie ernsthaft überrascht,
dass in der Tiermast mal wieder illegale Bestandteile verwendet
wurden, die sich als Bestandteil von Nahrung nicht gerade empfehlen?
Wohl kaum. Lebensmittelskandale verfolgen uns mit schöner
Regelmäßigkeit. Ob verdorbener Käse mit würzigen Beigaben aus Würmern
und Mäusekot, verdorbene Eier in Nudeln, schimmliges Fleisch – in den
vergangenen Jahren war schon einiges dabei, was den Brechreiz anregt.
Jetzt also dioxinhaltiges Mischfett im Futter für Hühner, Puten und
Schweine. Nun – Dioxin ist ein alter Bekannter in der Nahrungskette.
Es ist immerhin nicht eklig, dafür aber sehr giftig und verhilft
gerne mal körpereigenen Zellen, sich als Krebsgeschwür ins Gewebe zu
fressen. Neu scheint zumindest, dass Tieren Industriefett zum Fraß
vorgeworfen wird; Schmierstoff – in diesem Fall nicht aus Mineralöl,
sondern immerhin aus biologischem Material, der eigentlich
Maschinenteile und Türscharniere beweglich halten soll. Man könnte
das als Recycling auf höchstem Niveau oder – angemessener – im
Endstadium betrachten. Tatsächlich zwingt uns unsere Art zu leben,
die immer knapper werdenden Ressourcen intensiver zu nutzen. Das gilt
ganz besonders für Nahrungsmittel beziehungsweise deren Erzeugung.
Die rationelle Produktion von Lebensmitteln – also viel und billig –
funktioniert eben nur im industriellen Maßstab. Und zur industriellen
Produktion gehört die bestmögliche Nutzung der vorhandenen Mittel
beziehungsweise die Verwertung von Abfällen oder Reststoffen. Wer ein
Suppenhuhn für drei Euro kauft und überlegt, wie viel Geld – nach
Abzug der Gewinnspanne des Handels, der Mehrwertsteuer, des
Transports und der Kühlung, des Betriebs der Ställe, des Verdienstes
des landwirtschaftlichen Betriebs – am Ende für das Futter übrig
bleibt, der fragt sich ohnehin, wie man mit ein paar Cent für Nahrung
das Tier binnen vier Wochen groß kriegen kann; oder eher, welche
Nahrung man dafür denn bekommt? Abgesehen von Fragen der Ethik
gegenüber den Tieren – jetzt die industrielle
Nahrungsmittelherstellung generell zu verteufeln, wäre zu einfach.
Die durchgeplanten Prozesse helfen grundsätzlich dabei, eine gleich
bleibende Qualität zu gewährleisten. Die ist notwendig. Es wäre zwar
sicher gesünder, klimafreundlicher und besser für die Tiere, wenn
sich jeder Erdenbürger bei seinem Biobauern um die Ecke versorgen
könnte. Die zunehmende Weltbevölkerung und gleichzeitige
Verstädterung verhindern das aber zuverlässig. Das Problem der
Massenproduktion ist unter anderem, dass kein Verbraucher mehr
überblicken kann, wie und womit seine Nahrungsmittel entstehen. Und
dass der Anreiz für die an der Herstellung der Nahrungskette
Beteiligten riesengroß ist, jeden nur erdenklichen Sparvorteil zu
nutzen. Da wird in der Anonymität des Systems eben auch zu Mitteln
gegriffen, die am Ende eher Apotheken und Ärzten zugutekommen als der
Gesundheit der Konsumenten. Am Ende helfen nur intensive Kontrollen
und strenge Regeln. Sie bieten einen gewissen Schutz, werden uns aber
vor unerwünschten Inhaltsstoffen in Lebensmitteln nie gänzlich
bewahren können. Es ist der Tribut dafür, dass wir gerne und viel
Fleisch essen sowie zu Obst und Gemüse aus fernen Ländern greifen,
aber nicht dazu bereit und/oder in der Lage sind, „gesunde“ Preise
dafür zu bezahlen.

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