Interessanterweise gleichen sich die Szenarien.
2010 wurde Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen abgewählt. Zwar
nicht klar, so dass erst nach langem Hin und Her eine neue Regierung
zustande kam. Doch es war dieselbe Koalition, die jetzt in Düsseldorf
regieren wird: Rot-Grün. Auch in vielerlei anderer Hinsicht ist die
Ausgangslage sehr ähnlich. 2010 war die Stimmungslage in der
schwarz-gelben Bundesregierung alles andere als auf dem Höhepunkt.
Union und FDP stritten um Steuererhöhungen und Gesundheitsreform,
vieles wurde vertagt auf die Zeit nach der NRW-Wahl. Die
Steuersenkung wartet bis heute auf ihre Umsetzung, weil sie keine
Mehrheit im Bundesrat bekommt. Die ging verloren, als 2010 Rot-Grün
NRW gewann. Heute gibt es ebenfalls viel Konfliktpotenzial innerhalb
der Koalition aus Union und FDP. CSU-Chef Horst Seehofer hat am
Wochenende laut gepoltert, weil sein Lieblingsprojekt Betreuungsgeld
immer noch nicht umgesetzt ist und weil für ihn nicht entschlossen
genug regiert wird. Zudem tritt er nach dem Absturz des
CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen ordentlich nach und stellt
dessen Fähigkeit infrage, das Großprojekt Energiewende umsetzen zu
können. Das alles ist nichts Neues. Dennoch muss es die
Regierungskoalition in Berlin aufhorchen lassen. Zu allererst die
CDU. Angela Merkel kann zwar die Schlappe für ihre Partei im
bevölkerungsreichsten Bundesland bequem auf den einstigen Kronprinzen
Röttgen abwälzen. Fragen wird sie sich dennoch stellen lassen müssen.
Etwa, warum es Schwarz-Gelb seit der Bundestagswahl nicht mehr
gelingt, Regierungen zu bilden, während eine FDP, die man todgeweiht
glaubte, eine Wiedergeburt erlebt und an Rhein und Ruhr sogar noch
Stimmen im Vergleich zu 2010 dazu gewinnen konnte. Die
CDU-Vorsitzende wird sich auch fragen lassen müssen, wie es sein
kann, dass Röttgen, der ihr Ziehsohn war, derart schlecht auftreten
konnte – und derart schlecht abschnitt. In Seehofers Stichelei steckt
auch ein Quäntchen Wahrheit: Wenn Röttgen es nicht schafft, eine Wahl
zu gewinnen oder annähernd das Wahlergebnis von 2010 zu halten, wie
soll er es dann fertigbringen, gegen alle Widerstände das
Mammutprojekt Energiewende durchzusetzen? Noch etwas sollte der
Kanzlerinnen-CDU zu denken geben: 2010 verlor die Partei nach der
NRW-Wahl mit Jürgen Rüttgers nicht nur einen CDU-Ministerpräsidenten,
sondern auch einen profilierten Kopf. Im selben Jahr, nur wenig
später, verließ ein weiterer die aktive Politik: Roland Koch. Und
Christian Wulff wurde aus der niedersächsischen Staatskanzlei ins
Schloss Bellevue befördert – womit sich Merkel ganz auch eines
parteiinternen Konkurrenten entledigte. Aber sie blieb danach alleine
zurück. Röttgen hatte seine Chance zur Profilierung und hat sie
verspielt. Damit ist Merkel erneut allein auf weiter Flur. Das bringt
sie vielleicht in die angenehme Situation, sich keiner Debatte über
ihre Führung stellen zu müssen. Wahlen gewinnen sich aber nicht von
alleine. Dazu braucht es profilierte Gesichter. Das alles aber muss
Merkel noch nicht schrecken. Bislang ist Rot-Grün nur eine Vision,
die auf Bundesebene noch keine Mehrheit hat. Die hat die Kanzlerin
zwar auch nicht, selbst wenn die FDP bewiesen hat, dass sie allen
Unkenrufen zum Trotz nicht in der Versenkung verschwinden wird. Die
SPD hat es bislang noch nicht einmal geschafft klarzustellen, wer
denn gegen Merkel antreten wird. Zudem machen die Sozialdemokraten
gerade den Fehler, sich auf ein Nicht-Antreten von Hannelore Kraft,
der strahlenden Siegerin in Düsseldorf, festzulegen. Die Genossen
werden Probleme haben zu erklären, warum die erfolgreichste
SPD-Politikerin nicht gegen die erfolgreiche und beliebteste deutsche
Politikerin in den Ring steigen wird. NRW 2012 wird Merkel, ebenso
wie 2010, ein paar unangenehme Debatten bescheren – und den Bürgern
ein paar Wochen, in denen viel spekuliert und dann weitergewurstelt
wird. Aussagekraft für den Bund hat die Wahl nicht. Zumindest noch
nicht.
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