Mittelbayerische Zeitung: Westerwelles Vermächtnis
Leitartikel zum FDP-Parteitag

War das was? Die FDP hat sich in eineinhalb
Jahren schwarz-gelben Regierens nahezu pulverisiert, Landtagswahlen
wurden grandios vergeigt und der alte Parteichef schließlich zum
Abdanken gezwungen. Vor allem Guido Westerwelle mit seinem Mantra von
Steuersenkungen um jeden Preis wurde das Debakel der Bundespartei
zuallererst angelastet. Alle Welt hatte einen kritischen
Parteikongress erwartet, mit hartem Ringen um neues liberales Profil,
um Glaubwürdigkeit, die den Liberalen wegschmolz wie Schnee in der
Frühlingssonne. Doch der Rostocker Bundesparteitag ist kein Kongress
der knallharten Abrechnung, sondern eher einer des harmonischen
Stühlerückens. Abrechnung mit Westerwelle? Von wegen. Fast die
gesamte Partei lobte den scheidenden Langzeit-Vorsitzenden, dem sie
schließlich maßgeblich die Wahlerfolge der vergangenen Jahre
zuzuschreiben hatte. Viele Liberale haben dem begnadeten Wahlkämpfer
Guido Westerwelle die eigene politische Karriere zu verdanken. Die
Kritik- bzw. Beißhemmung in der FDP hat einen nachvollziehbaren
Grund: So einen sturmerprobten Parteichef jagt man nicht mit Schimpf
und Schande vom Hof. Gerade bei den bürgerlichen Freidemokraten, die
sich in den vergangenen Wochen fetzten wie die Kesselflicker, gelten
Stil, Anstand und Fairness als Werte an sich. Der Personalstreit hat
die FDP zuletzt heftig durchgerüttelt – und für die Anhänger
unattraktiv werden lassen. Am Freitag bemühte man sich in der
Rostocker Hanse-Messe durch zur Schau getragene Harmonie verlorenes
Vertrauen und Kapital zurück zu gewinnen. Die dramatische Lage, in
der die Freidemokraten derzeit stecken, wurde mit Jubel für
Westerwelle und Rösler weitgehend wegapplaudiert. Die FDP folgte
damit auch der schlichten Erkenntnis, dass ein zerstrittener Haufen
nicht gewählt wird. Guido Westerwelle, der sich mit den Jahren in der
Tat vom politischen Leichtmatrosen zum Schwergewicht entwickelte, gab
der FDP gestern gewissermaßen sein grundliberales, menschliches
Vermächtnis mit auf den Weg. Er hat wohl mehr als andere begriffen,
dass es um nicht mehr und nicht weniger als das politische Überleben
der FDP geht, nicht nur um den Austausch von ein paar Personen an der
Parteispitze. Wenn sich die FDP nicht rasch berappelt und vor allem
moderne liberale Antworten auf die brennenden Fragen der Zeit
anbietet, dann ist sie schlicht überflüssig. Westerwelle war dabei
einerseits ganz der alte liberale Haudrauf, der Einwände wegbügelt
und die politischen Gegner von Grün und Rot mit Ironie und Spott
attackiert. Der deutschen Wirtschaft gehe es gut, Krise überwunden,
Sozialsysteme stabilisiert. Nun sei stolz, Deutschland! Zugleich war
aber auch der andere, wenn man so will der weise, nachdenkliche
Westerwelle zu hören. Er zurrte in wenigen Worten liberale
Grundpositionen fest, von Europa und Eurorettung, von Bürgerrechten
und Bildungschancen. Westerwelle hat sich um den Brückenschlag in die
Zukunft seiner Partei bemüht. Seinem gestern mit großer Mehrheit
gewählten Nachfolger Philipp Rösler, der einen anderen Stil
verkörpert, hat er den Start damit erleichtert. Westerwelle ist weg,
darf weiter Außenminister bleiben, nun müssen seine Nachfolger
liefern.

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