Bei der Frage, ob die Grünen dem Merkelschen
Atomausstieg zustimmen würden oder nicht, ging es um mehr als die
Lebensdauer von Atomkraftwerken. Es ging auch darum, ob sich die
grüne Partei dauerhaft oberhalb der 20-Prozent-Marke einrichten will
oder lieber nach dem Motto „klein, aber rein“ zurückschrumpfen möchte
auf höchstens zehn Prozent. Nur eine kleine Partei kann es sich
erlauben, kritiklos auf die Wünsche ihrer Klientel einzugehen. Wer
sich in Richtung Volkspartei weiterentwickeln möchte, der muss
hingegen zur Übernahme von Verantwortung und zu Kompromissen in der
Lage sein. Ein Atomausstieg bereits 2017, wie ihn die
Anti-AKW-Bewegung fordert, ist schon deshalb illusionär, weil den
Grünen dafür der Partner fehlt. Die Grünen haben also mit ihrem Ja zu
Merkels Atomausstieg einen Test in Richtung Regierungsfähigkeit
bestanden. Sollten sie 2013 tatsächlich im Bund wieder mitregieren,
müssen sie aber noch auf vielen anderen Gebieten – von der inneren
Sicherheit bis zur Finanzpolitik – liebgewordene Illusionen über Bord
werfen. Dass die Grünen dem schwarz-gelben Atomausstieg zustimmen
wollen, bedeutet übrigens nicht automatisch, dass sich 2013 im Bund
das Tor zu Schwarz-Grün öffnet. Das Misstrauen gegen Merkel und ihre
Zickzack-Politik sitzt zumindest aktuell tief und einigte beim
Parteitag alle Flügel. Das Berliner Delegiertentreffen hat nebenbei
einen Einblick in das Geheimnis der grünen Stärke gestattet. Gerade
in komplizierten Zeiten ist es wichtig, Politik zu erklären. Die
grüne Spitze hat sich mächtig ins Zeug gelegt, um die Basis
inhaltlich mitzunehmen. Davon hätten sich vor allem CDU und CSU eine
Scheibe abschneiden können, die den eigenen Mitgliedern sogar
180-Grad-Wendungen zumuten ohne eine gründliche argumentative
Auseinandersetzung.
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