Was immer Günter Grass bei seinem Gedicht „Was
gesagt werden muss“ geritten haben mag, an seiner Wirkung auf die
Öffentlichkeit wird er nicht gezweifelt haben. Grass schreibt
politische Verse und veröffentlicht sie nicht in einem seiner
Spätwerke, sondern der größten überregionalen Tageszeitung. Hier will
einer nicht nur einen kleinen Gedankenanstoß an der Nachttischkante
geben, sondern aufrütteln und am Ende Zustimmung. So bleiben zwei
Möglichkeiten: Entweder hat Grass die harsche Kritik an seiner
Einlassung zu Israels Atompolitik maßlos unterschätzt – oder aber
ganz bewusst in Kauf genommen. Ersteres mag man dem Geschichtsdeuter
und Medienprofi, dem politischen Literaten und literarischen
Politkämpfer nicht recht abnehmen. Letzteres wäre dagegen ein
poetisches Märtyrertum „mit letzter Tinte“. Die Methode: Zum
Karfreitag lässt er sich wissend um den reflexartigen
Antisemitismusvorwurf von seinen Gegnern kreuzigen. Am Ostersonntag
lassen ihn seine schärfsten Kritiker wieder auferstehen, indem sie
Israels Einreiseverbot für den Literaturnobelpreisträger als nun doch
überzogen ablehnen müssen. In Israel ist es so verstanden worden:
ausgerechnet zum Pessachfest. Dort sieht man Grass als Vertreter
eines antisemitischen Christentums. Das macht ihn angreifbar. Wenn
Grass aber stellvertretend die Israelkritik auf sich nehmen wollte,
um eine inhaltliche Debatte über die Haltung der israelischen
Regierung zu ermöglichen, die in Deutschland bislang öffentlich
unführbar ist, könnte ihm das gelungen sein. Israels heftige Reaktion
ist mit einer vermeintlich antisemitischen Position eines
Schriftstellers allein nicht zu erklären. Vielmehr wird fortan kein
Säbelrasseln Israels gegen den Iran mehr unkommentiert durchgewinkt.
Sollte Israel nun den Präventivschlag tatsächlich ausführen, würde
das Grass nachträglich recht geben. Das ist das Dilemma Israels.
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