Fassungslos schauen wir in diesen Tagen auf die
politische und finanzpolitische Entwicklung auf unserem guten alten
Kontinent. Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: Griechenland, das
Mutterland der Demokratie, ist pleite. Italien unter der Führung
eines charakterlichen Hallodris ist nahe dran. Portugal und Irland
sind verzweifelt um eine Rettung ihrer einst so zugkräftigen
Wirtschaft und der Euro-Währung bemüht. Großbritannien ist wie immer
außen vor, aber in Wahrheit noch schlechter dran als der Rest
Europas. Deutschland und Frankreich, die Mittelmächte Europas, drohen
im Management des Chaos zu versinken. Nichts ist mehr gut in diesen
Vereinigten Staaten der Europäischen Union. Aus Sorge vor einem
Zusammenbruch der Währung und der Wirtschaftskraft sind wir
inzwischen sogar so weit, dass wir das urdemokratische Element einer
Volksabstimmung als unverantwortlich brandmarken. Selbst wenn man
dies aus Rücksicht auf nicht weiter definierte Märk-te für zwingend
halten muss: Wie tief ist das demokratische Element in Europa
gesunken, dass es zu solchen Verwerfungen führt, wenn eine Regierung
das Volk für die eigene Zukunft in Verantwortung nehmen will? Nur ein
geeintes und gestärktes Europa indes wird sich und seine Kultur im
weltweiten Wettbewerb behaupten können. Die Machtbalance unserer Welt
hat sich bereits auf dramatische Weise in Richtung Osten verschoben.
So weit ist es gekommen, dass China und Indien inzwischen Bedingungen
formulieren, wenn sie sich in der Rettung der Euro-Währung und der
Stabilität der europäischen Staaten engagieren sollen. Schlimmer
noch: Der türkische Präsident Erdogan kann öffentlich erklären, sein
Land sei stabiler und gesünder als eine Reihe von Mitgliedsländern
der Europäischen Union. Und man wagt – in Gedanken an Rumänien und
Bulgarien, aber auch an die desolate Finanzlage Griechenlands – kaum
noch, ihm zu widersprechen. Dazu wächst die Sorge, dass die Türkei,
je länger wir sie mit diffusen Hinweisen auf irgendeine Partnerschaft
ohne EU-Mitgliedschaft vertrösten, irgendwann doch Gefallen darin
finden könnte, sich dem Osten, Irak und Iran, zu- und von Europa
abzuwenden, mit allen geostrategischen Risiken. Es wird höchste Zeit,
dass sich Europa neu erfindet. Das heißt: ohne Tabus. Gemeinsame
Wirtschaftspolitik – ja! Gemeinsame Finanzpolitik – ja! Gemeinsame
Außenpolitik – ja! Alles vertreten durch einen europäischen Minister.
Volles Haushaltsrecht, volle Gesetzgebung für das Europaparlament.
Angst- und vorurteilsfreie Prüfung von Vollmitgliedschaften, auch für
die Türkei. Oder gar Russland. Volksabstimmungen zu allen zentralen
Identitätsfragen. Mag sein, dass dann die nationalen Parlamente nicht
mehr viel zu sagen und zu entscheiden haben, von den
Länderparlamenten zu schweigen. Mag sein, dass wir dazu viele innere
Widerstände in uns selbst überwinden müssen. Aber die Wiedererfindung
der europäischen Einigung ist eine Frage von Krieg und Frieden. Die
Alternative lautet: starkes Europa in der Weltengemeinschaft oder
deutsche/französische/italienische/britische Provinz im
Überlebenskampf gegen die neuen Kolonialmächte Indien und China. Das
alte Europa ist tot, es lebe das neue. Das ist die Alternative, die
uns bleibt.
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