Rheinische Post: Glück-Wunsch, Deutschland!

von Horst Thoren

Joachim Gauck ist gewählt. Glückwunsch! Die Frage aber bleibt:
Wozu brauchen wir überhaupt einen Bundespräsidenten? Wer Passanten
auf der Straße darauf anspricht, wird häufig Schulterzucken zur
Antwort bekommen. Welche Aufgaben dieses „Verfassungsorgan“ wirklich
hat, gehört nicht zum bundesdeutschen Allgemeinwissen. Was, außer
Kosten, bringt uns eigentlich ein Präsident, wo doch die Repräsentanz
des Volkes scheinbar ausreichend durch Parlament und Kanzler(in)
dargestellt wird? Hat nicht dieses Staatsamt eher eine überkommene
monarchistische Anmutung? Ist es nicht ein unzeitgemäßer „dekorativer
Schnörkel“ an der ansonsten so gar nicht auf Glanz bedachten Realität
einer nüchtern strukturierten Republik? Die quälende Debatte um Wulff
und seine Verfehlungen, das Schachern um Amt und Einfluss haben
solcherlei Gedanken in der Bevölkerung befördert. Die Menschen
zweifeln aber nicht nur an der Wichtigkeit dieses Amtes – sondern
zunehmend an der Politik insgesamt. Obwohl die Mehrheit der Deutschen
dem gescheiterten Wulff den Ehrensold missgönnt, wird er trotzdem
gezahlt. Das „Volk“ fühlt sich mal wieder machtlos. Dasselbe „Volk“,
von dem, laut Grundgesetz, „die Macht“ ausgeht! Hier – so spürt man –
könnte selbst das Vertrauen in die Verfassung Schaden genommen haben.
In diesem Sinne braucht Deutschland einen Bundespräsidenten, der der
Besonderheit dieses Amtes gerecht wird! Einen, der nicht nur als bloß
politische, sondern, vor allem, auch als moralische Instanz
respektabel ist. An der Person Joachim Gauck wird es liegen, dem Amt
neues Ansehen und einen glaubwürdigen Inhalt zu geben! Dabei bedarf
es nicht allein sogenannter „Ruck-Reden“. Es geht um nicht weniger
als die Restauration von Glaubwürdigkeit, die sich auch im
persönlichen Verhalten ausdrückt. Worte und Taten müssen im
Gleichklang miteinander stehen. Das setzt beim Amtsinhaber Integrität
voraus, aber auch die Erkenntnis im Volke, dass der Bundespräsident
auch „nur ein Mensch“ ist. Wir brauchen keinen „Übermenschen“. Im
Gegenteil! Der „Mensch Gauck“ ist gefordert. Es steht vor allem das
erkennbare Bemühen im Fokus. Der spürbare Wille, dem Volke zu dienen
– und Schaden von ihm abzuwenden. So wahr ihm Gott helfe! Heute, am
Tag nach der Wahl, wollen und dürfen sich alle als Sieger fühlen. Die
SPD mit Parteichef Gabriel ganz vorn, weil sie den Kandidaten als
erste auf den Schild gehoben hat. Die Grünen ebenfalls. Kanzlerin
Merkel, weil sie sich auf Joachim Gauck eingelassen und ihn zum
deutschen Hoffnungsträger erklärt hat. Die FDP, weil sie die
Regierung in Richtung Gauck drängte. Joachim Gauck, der elfte
Präsident der Bundesrepublik, ist auch ein Repräsentant des
wiedervereinigten Deutschland! Als solcher konnte er sich bei seiner
Wahl auf eine überwältigende Mehrheit aus fünf Parteien stützen –
schon dies ein deutlicher Image-Gewinn für die deutsche Politik! So
könnte, so sollte es weitergehen! In Zeiten wahlstrategischen Kalküls
sollten vor allem SPD und Grüne der Verlockung widerstehen, den
Bundespräsidenten parteipolitisch zu instrumentalisieren und allzu
sehr als „rot-grüne Erfindung“ darzustellen – und ihm damit die
Verklärung des neuen, dem ganzen Volk verpflichteten Hoffnungsträgers
gleich wieder zu nehmen. Er hat es auch so schon schwer genug, dem
Amt die Würde und den Charme der Überparteilichkeit wiederzugeben!
Gerade, weil in der Amtszeit Wulffs so viel verschleiert worden ist,
braucht es von nun an mehr denn je Transparenz und Offenheit – auch,
damit im öffentlichen Bewusstsein nicht der schlechteste
Bundespräsident als Muster haftenbleibt! Joachim Gauck (72) will
seine Zeit nutzen. Hoffentlich auch dazu, dem Amt zeitgemäße
Orientierung und Maßstab auf den Leib zu schneidern – und sich bei
der überfälligen Debatte um Ehrensold und Direktwahl an die Spitze zu
setzen! Die deutsche Demokratie braucht dieses Amt – und damit den
würdigen Repräsentanten, den klugen Vordenker, den
verantwortungsbewussten Staatsmann mit Gottvertrauen! Dazu:
Herzlichen Glück-Wunsch, Deutschland!

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