Es ist fast lächerlich, wenn der
Bundesregierung zur angekündigten VdK-Verfassungsklage nichts anderes
einfällt, als von „veralteten Erkenntnissen“ zu sprechen, die der
Beschwerde zugrunde lägen. Denn wenn es um die Baustellen in der
Pflege geht, scheint der Zeitfaktor in Berlin lange Jahre keine Rolle
gespielt zu haben. Vier Gesundheitsminister haben eine große
Pflegereform angekündigt, passiert ist wenig. Nach wie vor sterben
Zigtausende Demenzkranke, deren Pflege nicht angemessen
berücksichtigt wird. Den Pflegeheimen geht das Personal aus,
gleichzeitig steigt die Zahl der Pflegebedürftigen. Die Politik hat
sich bislang erfolgreich vor der Aufgabe gedrückt, den Rahmen zu
schaffen, den Experten seit Langem fordern.
Dass der VdK nun den Weg geht, beim Bundesverfassungsgericht gegen
„grundrechtswidrige Zustände“ im deutschen Pflegesystem zu klagen,
mag juristisch umstritten sein. Die der Klage zugrunde liegende
Doktorarbeit hat ja schon allerhand Debatten provoziert. Politisch
ist der Schritt nachvollziehbar. Über den Umweg nach Karlsruhe will
der Sozialverband erzwingen, dass die Bundesregierung die Gesetze
erlässt, die auch Pflegebedürftigen ein würdiges Leben ermöglichen.
Es wäre ja nicht das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht dem
Gesetzgeber auf die Sprünge hilft.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens: Die Frage, wie viel einer
Gesellschaft ein menschenwürdiges Leben im Alter wert ist, kann nicht
allein von der Politik beantwortet werden. Das ist eine Frage, die
sich jeder selbst stellen muss. So kann ein Gesetz zwar festlegen, ob
ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine Familienpflegezeit hat. Aber ob
jemand tatsächlich sein berufliches Engagement zurückschraubt, um
seine alten Eltern zu pflegen, entscheidet der Betroffene. Eines gilt
aber sowohl für die Politik als auch für jeden Einzelnen: Das Thema
Pflege zu verdrängen, bringt nichts. Wer sich frühzeitig überlegt, ob
für ihn eine Senioren-WG, das Altenheim oder ein Helfer im eigenen
Haushalt in Betracht kommt, lebt entspannter.
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