Warnung vor leichtfertigen Schuldzuweisungen Karfreitagsbotschaft des EKD-Ratsvorsitzenden, Präses Nikolaus Schneider

Sperrfrist: 04.04.2012 20:00
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist.

Vor der „Unsitte der leichtfertigen Schuldzuweisungen“ hat der
Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD),
Präses Nikolaus Schneider, gewarnt. In seiner Botschaft zum
diesjährigen Karfreitag, dem 6. April, sagt Schneider:

„–Du Opfer– ist ein derzeit gängiges Schimpfwort unter
Jugendlichen. Es grenzt aus und verweigert Anteilnahme und
Solidarität: Wem es schlecht geht, der ist eben irgendwie selbst
schuld.

Selbst schuld: Das scheint mitunter auch der Grundton in der
Auseinandersetzung mit der Finanzkrise in Griechenland zu sein. Wer
so spricht, lenkt von der Tatsache ab, dass die europäischen Staaten
insgesamt seit Jahrzehnten weit über ihre Verhältnisse gelebt und
sogar von der Verschuldung anderer Länder profitiert haben. Selbst
schuld: als ob wir mit Schuldzuweisungen die Probleme Europas lösen
könnten.

Je komplizierter die Welt für uns aussieht, desto anfälliger
werden wir für einfache Antworten und für leichtfertige
Schuldzuweisungen, sei es auf den Finanzmärkten, sei es auf dem
Schulhof: –Du Opfer–.

Karfreitag wirft ein anderes Licht auf diese Themen: auf
Schuldzuweisungen, Selbstrechtfertigung und Opfer. An Karfreitag hat
sich Jesus Christus selbst zum Opfer gemacht. Im Predigttext zum
Karfreitag im Hebräerbrief heißt es im 9. Kapitel (Vers 26): –Nun
aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein
eigenes Opfer die Sünde aufzuheben–.

Sünde ist für moderne Menschen ein sperriges Wort. Christinnen und
Christen verstehen Sünde grundsätzlich als das Verhängnis der
Gottferne, die Abkehr von Gott, den Versuch des Menschen, selbst wie
Gott sein zu wollen. Wer sich selbst letzte Instanz ist, muss Sorge
für sich tragen, notfalls auch gegen den Anderen. Das Eingeständnis
von Scheitern oder Schuld fällt umso schwerer, je mehr wir darauf
angewiesen sind, die Fassade der Selbstrechtfertigung zu wahren. Wie
viel einfacher ist es da, sich Opfer zu suchen: Schuld sind immer die
anderen.

Aber Karfreitag durchkreuzt dieses Spiel der Schuldzuweisung und
Schuldabwälzung. An Karfreitag wird deutlich: Gott geht den Menschen
hinterher, hinein ins Dunkle, auch in seine Schuld, in das Leid, in
die Einsamkeit. Zum Menschsein gehören Scheitern, Schmerz und
Versagen. Gottes Liebe nimmt auch die dunklen Seiten der Welt und der
Menschen auf sich, um zu heilen und zu versöhnen. Jesus geht hinein
in diese Finsternis, er erleidet den Tod – und er überwindet ihn.

Der Sieg am Kreuz ist keine triumphale Erfolgsgeschichte –
jedenfalls nicht nach den gängigen Maßstäben der Welt: Das Heil
Gottes für die Welt ist begründet in einem leidvollen und
schmachvollen Tod am Kreuz. Und wir glauben: Dieses Ende ist ein
neuer Anfang. Gewalt, Unrecht und Tod haben nicht das letzte Wort
über den Gottessohn. Deshalb haben Gewalt, Unrecht und Tod auch nicht
das letzte Wort in unseren Menschengeschichten.

Wir können uns auch den dunklen Seiten des Lebens stellen, ehrlich
und ohne Beschönigung. Wir brauchen keine Opfer mehr, um uns selbst
zu rechtfertigen. Wir können uns solidarisch zeigen mit Menschen, die
Opfer sind oder zu Opfern gemacht werden. Jesu Opfer am Kreuz macht
uns frei: Wir brauchen keine leichtfertigen Schuldzuweisungen mehr.

Hannover, 4. April 2012

Pressestelle der EKD

Silke Römhild

Hinweis: Präses Nikolaus Schneider predigt an Karfreitag, 6.
April, um 11 Uhr im Gottesdienst im Willibrordi-Dom zu Wesel
(Nordrhein-Westfalen). Den Predigttext finden Sie nach Ablauf der
Sperrfrist um 11.30 Uhr unter
http://www.ekd.de/predigten/schneider/index.html

Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 – 2796 – 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de