WAZ: Ein Papst, der weiß, was er will – Leitartikel von Paul Kreiner

Er ist kein „dritter“, kein „achter“, kein
„siebzehnter“. Er ist: Franziskus. Der Argentinier Jorge Mario
Bergoglio, der da im Februar mit einem einzigen Koffer anreiste und
während des Konklaves seine Socken selber wusch, hat in seinen ersten
100 Tagen dem Papstamt eine unverwechselbare Originalität gegeben.
Schnell war klar: Da ist einer, der weiß, was er will. Doch was ist
das? Zölibat, Frauenpriestertum, Kondom, wiederverheiratete
Geschiedene – davon hat er noch kein einziges Mal gesprochen.
Trotzdem strömt immer mehr Volk zu den Generalaudienzen. Franziskus
selbst, das ist das Fundament seiner Amtsführung, sucht möglichst
viel Nähe zu möglichst vielen Menschen. Anders als unter Joseph
Ratzinger spürt die Menge heute einen Menschen aus Fleisch und Blut
in ihrer Mitte. Es gibt in Rom bereits Kritik an der
„Franziskus-Show“. Doch der Papst sucht die Nähe zu den Menschen aus
zwei wichtigen Gründen. Zum einen will er mit eigenem Beispiel die
katholische Kirche aus ihrer Lethargie und Selbstbespiegelung reißen.
Kirchenreform besteht für Franziskus im gemeinsamen Anpacken aller.
Er will motivieren. Wenn er von „Evangelisierung“ spricht, dann nicht
davon, dass Katholiken Lehrsätze weiterreichen sollen. Sie sollen „an
den Peripherien der Städte und des Geistes“ spüren lassen, wie es
sich aus der christlichen Gnade so lebt. Das aber müssen viele
Katholiken erst selber (wieder) erfahren, und dann müssen sie sich
mitreißen lassen. Sonst bleibt der umjubelte Franziskus am Ende doch
allein und die Kirche, wie sie ist. Die Nähe zum Kirchenvolk hat für
den Papst eine zweite Funktion: Die Kardinäle haben Bergoglio
gewählt, damit endlich einer die römische Kurie reformiert. Einen
Außenseiter aber, den kriegt jeder Apparat klein. Einer jedoch, den
die Gläubigen auf Händen tragen, der ist stärker als zu erwarten war.
Mit der Schaffung eines persönlichen „Rates der acht Weisen“ hat der
Papst auch noch von oben zugepackt; die Kurie befindet sich in der
Zange. Und Franziskus lässt sie dort. Niemanden hat er im Amt
bestätigt; alle Personalien bleiben „in diesem Stadium des
Nachdenkens“ – vorläufig. Die 100 Tage des Papstes Franziskus waren
ein vielversprechender Anfang.

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