WAZ: Hier die Demos, dort die Disziplin
– Kommentar von Britta Heidemann

In Deutschland kaufen die ersten jetzt Jodtabletten
– in Tokio gehen viele Menschen noch immer zur Arbeit, in Anzug und
Krawatte. Wir Deutschen demonstrieren gegen und diskutieren über
Atomstrom – und zeigen dabei, immerhin 8900 Kilometer entfernt vom
Super-GAU, ein so viel wütenderes, aufgewühlteres Gesicht als die
Japaner. Doch mögen sie auch stoische Miene zum entsetzlichen,
katastrophalen Spiel machen: Die Japaner sind tief erschüttert in
ihrem Selbstverständnis. Disziplin innerhalb der Gemeinschaft und
bedingungslose Akzeptanz staatlicher Autorität haben einst das Land
groß gemacht. Nun halten seine Menschen an den verinnerlichten
Mustern fest: Glauben den Verlautbarungen, die die Gefahren für Tokio
zunächst abwiegelten. Harren aus. Halten durch. Warten ab: in
Notunterkünften ohne Nahrungsmittel. Das ist so bewundernswert – und
so unfassbar. Müsste nicht auf die atomare Explosion die
gesellschaftliche folgen? Ein Aus- und Aufbruch, der endlich den
exzessiven Technik-Glauben hinterfragt? Mag sein, dass solche Fragen
sehr deutsch sind. Vielleicht können wir von Japan sogar mehr lernen,
als „Restrisiken“ neu zu prüfen. Hoffen wir, dass dem so tief
getroffenen Land etwas hilft, das es seit Jahrhunderten zelebriert:
sein Wir-Gefühl.

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