WAZ: Keine Linie, kein Plan. Kommentar von Miguel Sanches

Vom Schweigen gibt es recht viele Variationen. Warum
der Finanzminister tagelang zur Steuerdebatte schwieg, ist seit
gestern klar. Es war eher ein missbilligendes Schweigen. Wolfgang
Schäuble rät allen, „keine Debatten zu führen, die große Erwartungen
wecken und hinterher zu Enttäuschungen führen.“ Ein grausamer Satz.

Grausam für die FDP: Sie weiß nun, dass zehn Milliarden Euro an
Steuersenkung zu hoch gegriffen sind. Wenn, dann werden kleine
Brötchen gebacken.

Grausam auch für Merkel: Sie ließ die Debatte laufen und hat
Schäuble nicht eingebunden. Ein Mann im Herbst seiner Karriere ist
gefährlich, hat nicht viel zu verlieren.

Grausam für die Wähler: Der vielstimmige Chor der letzten Tage ist
erschütternd. Da ist keine Linie, keine Disziplin, kein Plan.
Vermutlich haben nicht mal die Sozialdemokraten gedacht, dass sich
die Merkel-Regierung als so unsolide, so sprunghaft und
konfliktsüchtig erweisen würde. Wie groß muss erst die Enttäuschung
bei den Menschen sein, die 2009 FDP und Union gewählt haben?

Ist es ein Missverständnis? Schäuble denkt an den Haushalt,
Merkel auch, aber an den Gefühlshaushalt der FDP.

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