WAZ: Mehr als nur Wortklauberei. Kommentar von Tobias Blasius

Normalerweise sollte es in der Politik nur eine
Richtschnur geben: Wenn es keine Notwendigkeit gibt, ein Gesetz zu
machen, gibt es die Notwendigkeit, kein Gesetz zu machen. So gesehen
haben die Befürworter einer Reform des Mordparagrafen einen schweren
Stand. Denn obwohl das Gesetz düsterster NS-Rechtslogik entspringt,
sind die Gerichte in den letzten Jahrzehnten verantwortungsvoll mit
dem vergifteten Erbe umgegangen. Die Nachkriegsrechtsprechung hat
Wege gefunden, die Texte aus dem Jahr 1941 bis heute
verfassungskonform anzuwenden. Es gibt also keinen Handlungsdruck.
Wer deshalb die Reformdiskussion als Formalismus und Wortklauberei
abtut, macht es sich dennoch zu leicht. Die Rolle der Justiz als
willfähriger Helferin des Nationalsozialismus ist viel zu lange
beschönigt worden, als dass man fast 70 Jahre später die Textarbeit
am Mordparagrafen ohne Weiteres überflüssig nennen könnte.

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