Wer in Berichten von Wehrbeauftragten des
Bundestages der vergangenen 20 Jahre nachliest, stellt eine Tendenz
fest: Führungsversagen in diesem abgeschotteten Sozialverband hat
kontinuierlich zugenommen. Führungsversagen jenseits von
Einzelfällen, wie sie in keiner Großorganisation vermieden werden
können. Die Gründe sind vielschichtig und bekannt. Der wichtigste:
Seit der deutschen Wiedervereinigung wurde in der Sicherheitspolitik
und bei den Streitkräften von allen Regierungen mit Gaspedal und
Bremse gleichzeitig gefahren. Im Dauerumbau nachhaltige Veränderungen
zu erzielen, ist schwer bis unmöglich. Dabei ist die Kernfrage der
Streitkräfte-Entwicklung seit Gründung die gleiche: Wer erzieht die
Erzieher so, dass Innere Führung, dass Vorbild, Vertrauen und
Verantwortung im „Staatsbürger in Uniform“ glaubwürdig Gestalt
annehmen? Nicht zuletzt die jüngsten Skandale zeigen, dass die
Bundeswehr für den hastig beschlossenen Übergang zur Berufsarmee
nicht gerüstet ist. Menschenführung und soziale Kompetenz sind, bei
aller Anerkennung für die Arbeit vieler tausend Soldaten, Mangelware.
Und das quer durch alle Ränge. Ausdruck dieses Defizits ist die
Tatsache, dass Untergebene als strukturell Schwächere von vielen
Vorschriften und Kontrollen ge-schützt werden. Individuell wird die
Menschenwürde häufiger mit Füßen getreten. Ein Einwand dagegen
lautet: Die Truppe ist das Spiegelbild der Gesellschaft, in der
Toleranz- und Anstandsgrenzen schleichend abgesenkt werden. Mag sein.
Gemessen an ihrem grundgesetzlichen Auftrag muss aber klar sein:
Verhaltensweisen, die vor den Kasernentoren noch durchgehen, sind
dahinter nicht tolerierbar. Vorleben können das nur Ausbilder, die
Menschen mögen. Haben Ausbilder hier ein Problem, kriegen die
Auszubildenden ein noch größeres. Die Bundeswehr wird darum nicht
umhin kommen, früher als bisher zu prüfen, wer zum Menschenführer
taugt. Gu- te Ausbilder kriegt man, wie im zivilen Le-ben, aber nicht
zum Nulltarif. Bessere Besoldung, bessere Aufstiegsmöglichkeiten,
bessere Arbeitsbedingungen – all das kostet. Und konkurriert mit den
nicht enden wollenden Begehrlichkeiten bei Gerät und Ausrüstung.
Fazit: Die Tischdecke in eine Richtung zu ziehen, wissend, dass sie
dann an anderer Stelle nicht mehr ausreicht, das kann sich die
Politik am Vorabend der Bundeswehr der Zukunft nicht länger leisten.
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