WAZ: Merkel hat es leichter – Leitartikel von Ulrich Reitz

Weshalb Peer Steinbrück es schwerer hat als Angela
Merkel und Gerhard Schröder? Der SPD-Mann wäre nie auch nur
Kanzlerkandidat geworden, hätte ein Parteitag seine Agenda vorher
absegnen müssen. Merkel muss nicht mal fragen, sie kann ihre CDU
quasi im Alleingang auf links drehen. Das wäre so, als würde
Steinbrück von der SPD erfolgreich den Wiedereinstieg in die
Atomkraft verlangen können. Weshalb das so ist? Die CDU hat zwar ein
Parteiprogramm, ist aber keine Programmpartei, sondern ein
Kanzlerwahlverein. Kanzler, also Macht und Erfolg vor Programm,
lautet bei den Christdemokraten die Reihenfolge. Das findet die SPD
furchtbar, so lange sie nicht regieren muss. Helmut Schmidt wie
Gerhard Schröder sehnten sich in ihrer jeweiligen Kanzlerschaft
phasenweise nach einer parteifreien Regentschaft. Schmidt strebte nie
den Parteivorsitz an, was vielleicht ein Fehler war. Schröder wollte
Parteitage durch ein Bündnis für Arbeit quasi überflüssig machen, was
misslang. Merkel muss die CDU nicht fürchten. Noch nie hat ein
CDU-Chef in so kurzer Zeit diese Partei derart verändert:
Atom-Ausstieg, Förderung erneuerbarer Energien, Mindestlohn,
Finanz-Transaktionssteuer, Frauenquote, und so weiter. Die
Gesellschaft, die politische Mitte, ist nach links gedriftet, die
CDU, rigoros geführt von Merkel, klaglos mit ihr. Schmidt hätte gegen
die SPD nie seine Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik ändern
können, um den sozialliberalen Bruch abzuwenden. Über die Entfremdung
zwischen Schröder und seiner Partei konnte sogar eine neue Partei
entstehen. Ändert Steinbrück seine Partei oder ändert die SPD
Steinbrück? Der Konflikt, siehe die Rentendebatte, ist erst einmal
vertagt. Er rückt damit näher an die Bundestagswahl. In der CDU ist
die Machtfrage geklärt, in der SPD nicht. Die Sozialdemokraten haben
ein Eigenleben und die Vorstellung, sich hinter ihrem nunmehr
wichtigsten Mann einfach mal einzureihen, ist den meisten von ihnen
fremd. Schon empfehlen manche Steinbrück, sich gegen die eigene
Partei mit dem Volk zu verbünden. Abgesehen von der Frage, wer das
Volk ist: So was kann funktionieren. Aber nicht in der SPD.

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