WAZ: Neuwahlen wollen nur die Grünen
– Leitartikel von Walter Bau

Die rot-grüne Minderheitsregierung erlebt ihre erste
handfeste Krise. Die Verfassungsrichter sind Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft gehörig in die Parade gefahren. Und noch ist nicht
absehbar, wie weit die Konsequenzen reichen. So viel ist aber sicher:
Auch wenn die Entscheidung der Richter, den Nachtragshaushalt 2010 zu
stoppen, nur vorläufig ist und noch kein endgültiges Urteil darstellt
– für Kraft kann es in Sachen Schuldenpolitik nach dem gestrigen Tag
kein einfaches „Weiter so“ geben. Ein neuer Kurs, der die
Konsolidierung der Landesfinanzen klar in den Vordergrund stellt, ist
unumgänglich. Sonst droht Rot-Grün beim Haushalt für 2011 die nächste
Schlappe in Münster. Und dies wäre das Ende der Regierung. Vertreter
von SPD und Grünen in Düsseldorf waren gestern bemüht, den Ball flach
zu halten: keine Krisentreffen, stattdessen demonstrative
Gelassenheit. Das durfte man erwarten. Auffälliger war dagegen schon
die Zurückhaltung von CDU und FDP, denen die Schlappe der ohnehin
fragilen Minderheitsregierung doch eigentlich eine Steilvorlage
liefern müsste. Forderungen nach Neuwahlen? Fehlanzeige.
Christdemokraten wie Liberale haben wenig Interesse an baldigen
Wahlen im Lande. Bei der CDU müssten viele Abgeordnete, die letzten
Mai nur knapp den Sprung in den Landtag schafften, um ein neues
Mandat bangen. Und die FDP, in Umfragen bei drei Prozent, könnte ganz
außen vor bleiben. Das Gleiche gilt für die Linkspartei. Stellt sich
die Frage: Was will Rot-Grün? Die Grünen könnten nach Lage der Dinge
bei Neuwahlen mit einem satten Stimmenplus rechnen. Doch will die SPD
einen erstarkten Koalitionspartner auf Augenhöhe? Gut möglich, dass
Grünen-Frontfrau Sylvia Löhrmann ihre Partnerin Hannelore Kraft von
der SPD schon bald in Neuwahlen drängt. Bereits bei der Entscheidung
für eine Minderheitsregierung im Sommer waren die Grünen die
treibende Kraft. Nicht ausgeschlossen, dass die rot-grüne Koalition
vor einer Machtprobe steht. Fazit: Rot-Grün ist deutlich geschwächt.
Noch hat Hannelore Kraft mehrere Optionen zum Weiterregieren, doch
sie muss ihre Schuldenpolitik drastisch korrigieren. Beim Haushalt
2011 kommt es zum Schwur. Die Opposition muss Kraft kaum fürchten,
wirkliches Interesse an Neuwahlen haben derzeit nur die Grünen.

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