Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet
hat. So klar, so einfach steht es im Grundgesetz. Bei Wahlen indes
haben Behinderte, die unter „Totalbetreuung“ stehen, keine Stimme:
Sie sind ausgeschlossen. An der Rechtspraxis nehmen nun SPD, Grüne,
das Land Rheinland-Pfalz, der Verein „Lebenshilfe“, aber auch der
Behindertenbeauftragte Hubert Hüppe (CDU) Anstoß. „Ich bin dafür,
dass alle Menschen mit Behinderung wählen dürfen“, sagte er den
Zeitungen der WAZ-Mediengruppe (Donnerstagausgaben). Es gebe keinen
Grund, sie auszugrenzen. „Wenn wir die UN-Behindertenrechtskonvention
ernst nehmen, kommen wir um eine Korrektur des Wahlrechts nicht
herum“, fügte Hüppe noch hinzu. Nach den Grünen will die SPD heute im
Bundestag die Regierung zu einer Gesetzeskorrektur auffordern. „Wir
wollen die Diskriminierung nicht“, sagte die SPD-Abgeordnete und
Vorsitzende der „Lebenshilfe“, Ulla Schmidt, den Zeitungen der
WAZ-Gruppe. Wie viele Behinderte betroffen sind, ist unklar. Ulla
Schmidt geht von 12.000 bis 13.000 Menschen aus. Inoffiziell ist von
200.000 die Rede. Es seien dazu „keine statistischen Daten“
vorhanden, heißt es in einem Brief von Innenminister Hans-Peter
Friedrich (CSU) an Hüppe. Die Innenpolitiker der Koalition wehren
sich gegen eine rasche Korrektur. Sie wollen das Ergebnis einer
Studie abwarten. Sie wurde schon 2012 in Aussicht gestellt und soll
nun erst 2014 vorliegen. Der CDU-Innenpolitiker Günter Krings
verteidigte die bisherige Praxis. „Es ist nicht plausibel, warum ein
Mensch, der nicht mal selbstständig eine Zeitung kaufen kann, eine
Wahlentscheidung treffen soll“, sagte er unserer Zeitung. Mit
Änderungen vor der nächsten Bundestagswahl im September 2013 wird in
allen Parteien nicht mehr gerechnet. Der Grünen-Politiker Markus
Kurth spricht von „Verzögerungstaktik“. Bereits 2011 hatte das
Deutsche Institut für Menschenrechte ein uneingeschränktes Wahlrecht
für alle Behinderten gefordert. Die Praxis verstößt für Kurth gegen
die UN-Behindertenrechtskonvention. Krings erklärte, es gehe um eine
ganz kleine Gruppe, für die das Wahlrecht „nur eine theoretische
Größe“ sei. Es sei kaum vorstellbar ist, dass sie es wahrnehmen
könnten. „Es ist eine Scheindiskussion“, kritisierte Krings. „Es wäre
ein leeres Versprechen, ihnen das Wahlrecht einzuräumen, insbesondere
würde es auch zum Missbrauch einladen“, fügte er hinzu. Die SPD
fordert auch Erleichterungen für Analphabeten und für Menschen mit
Lese-Rechtschreibe-Schwäche. Das seien etwa 7,5 Millionen Bürger, so
die SPD-Innenpolitikerin Gabriele Fograscher. Auch für sie solle man
die Wahlzettel mit Grafiken und Fotos vereinfachen und die Programme
der Parteien in leichter Sprache anbieten. In einer rechtlichen
Grauzone wähnen Experten die Demenzkranken. Etwa jeder 60.
Wahlberechtigte soll bereits an einer Demenzerkrankung leiden.
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