Westdeutsche Zeitung: Der Armutsbericht ist ein belebendes Element des Wahlkampfs = von Martin Vogler

Dreiste Fälschung. Sagt Peer Steinbrück. Andere
sprechen etwas milder von Schönfärberei. Die rund 500 Seiten
Armutsbericht passen auf jeden Fall prächtig ins Wahlkampfkonzept des
SPD-Herausforderers, der soziale Gerechtigkeit zum Kern seiner
Kampagne gemacht hat. Ihm kommt deshalb gelegen, dass sich laut
Bericht die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet. Mit der SPD
schließt sie sich wieder – so seine simple aber einprägsame
Botschaft. Und wenn die Gesellschaft tatsächlich so stark auseinander
driftet, und zwischen 14 und 16 Prozent der Menschen von Armut
bedroht sind, dann handelt es sich in der Tat um ein Problem.
Unseriös und nur dem Wahlkampf geschuldet ist es hingegen, deshalb
eine Katastrophe an die Wand zu malen. Denn in einem reichen Land wie
Deutschland, in dem es noch nie so viele Beschäftigte wie heute gab,
ist Armut ein sehr relativer Begriff. Fast immer funktionieren die
sozialen Netze. Wer von ihnen aufgefangen wird, muss extrem sparsam
leben, befindet sich aber im Vergleich zu Hungernden in wirklich
armen Ländern in einer guten Situation. Auch das Sinken der Reallöhne
in niedrigen Einkommensgruppen hat zwei Seiten: Einerseits ist das
bedenklich. Andererseits hängt dieser Wert damit zusammen, dass mehr
Menschen als früher in den unteren Lohnbereichen tätig sind. Falls es
sich um Ex-Arbeitslose handelt, ist das sogar positiv. Allerdings
sollten sie so bezahlt werden, dass sie nicht aus Sozialkassen
aufstocken müssen. Die persönliche Würde gebietet das. Darüber, ob
alle Aspekte im Bericht korrekt formuliert wurden, kann man streiten.
Das politische Berlin wird darüber keinen Konsens finden. In der Tat
wandelt die Regierung mit manchen positiven Formulierungen hart an
der Grenze zum Unseriösen, die auch Wähler übel nehmen. Allerdings
ist die Aufregung darüber, dass der noch nicht fertige Bericht
umformuliert wurde, absurd. So etwas ist normal. Genau wie ein
Wirtschaftsunternehmen darf auch eine Regierung Veröffentlichungen
vorher überarbeiten. Wenn sich die Opposition geschickt anstellt,
wird sie den Armutsbericht noch einige Wochen für ihren Wahlkampf
nutzen. Doch dann wird er – wie seine drei Vorgänger auch – im Archiv
verstauben.

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