Westdeutsche Zeitung: Rentenprognosen = von Martin Vogler

Von Euphorie getrieben können sich Rentner
heute auf dem Weihnachtsmarkt einen kräftigen Schluck Glühwein
gönnen. Denn wenn das Bundeskabinett morgen über den neuen
Rentenversicherungsbericht berät, liegen dem aus Sicht der älteren
Bevölkerungsgruppen unglaublich erfreuliche Zahlen zu Grunde: Bis
2026 sollen die monatlichen Zahlungen um 36 Prozent steigen. Was nach
einem Grund zum Feiern klingt. Der Wert überrascht in Zeiten, in
denen Zitate wie „Die Rente ist sicher“ auf Kabarettbühnen mit der
Garantie zum Lacherfolg eingesetzt werden. Die Zahl verblüfft, weil
objektiv erscheinende Statistiken und politisch motivierte Auguren
das Gespenst der weit verbreiteten Altersarmut beschwören. Wir
registrieren also erfreut: Ganz so schlimm kommt es offenbar nicht.
Allerdings muss man die 36 Prozent relativieren. Denn auch sie sind
nur eine Vorhersage, die derzeit relativ gut ausfällt, weil es der
Wirtschaft gut geht. Es gibt viele Berufstätige, die zudem wachsende
Gehälter überwiesen bekommen. Das sind Faktoren, die die
Rentenvorhersage beeinflussen. Im Umkehrschluss: Lahmt in den
nächsten Jahren die Konjunktur, sind die 36 Prozent Rentensteigerung
nicht zu halten. Einen weiteren Dämpfer erhält die Vorfreude der
Ruheständler durch die Inflation. Denn wenn die bis 2026 auf dem
heutigen Niveau bleibt, hat man auch bei 36 Prozent mehr Rente nicht
mehr Kaufkraft als heute. Doch selbst wenn die Renten effektiv
steigen, darf das für heute Berufstätige kein Alibi sein, sich
zurückzulehnen und das Geld mit vollen Händen auszugeben. Die
gesetzliche Rente allein wird im Alter nie für einen vernünftigen
Lebensstandard ausreichen. Wer nicht privat vorsorgt – und das
idealerweise über Jahrzehnte -, wird später darben müssen. Zu Unrecht
etwas weniger beachtet ist im Bericht die Entwicklung der Leistungen
in Ost und West. Demnach wird es nämlich sogar bis 2030 dauern, bis
überall die gleiche Leistung fließt. Das ist dann mehr als 40 Jahre
nach der Vereinigung nur legitim. Denn der etwas bizarre
Sondereffekt, dass Ost-Rentner bislang häufig besser als ihre
West-Kollegen dastanden, weil sie nie arbeitslos waren oder selten
wegen Kindererziehung zu Hause blieben, hat sich bis dahin sicherlich
erledigt.

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