In Kiew sitzen die Faschisten, sagt Russlands
Präsident Wladimir Putin. Den Kampf der ukrainischen Armee um die von
den Separatisten gehaltenen Städte im Südosten vergleicht er mit der
Belagerung Stalingrads durch die »faschistischen« Deutschen im
Zweiten Weltkrieg. Putin missbraucht in eklatanter Weise Begriffe und
Wörter. »Faschismus« wird bei ihm zur verbalen Waffe, er macht mit
diesem einen Wort aus der Regierung in Kiew eine Bande von
Verbrechern. Es dient ihm als Instrument, um das russische Volk
hinter sich zu scharen. Die Erinnerung an 26 Millionen Tote, die die
damalige Sowjetunion im Kampf gegen Hitler-Deutschland zu beklagen
hatte, soll zusammenschweißen. Putin weiß, dass der Begriff
»Faschismus« klar definiert ist, sich auf die Zeit von etwa 1920 bis
1945 bezieht und seinen Ursprung in Benito Mussolinis Italien hat.
Kennzeichen auch der nationalsozialistischen Variante waren ein
streng hierarchisch aufgebauter Staat mit Ein-Parteien-Herrschaft und
einem »Führer« an der Spitze, aggressiver Nationalismus bis hin zum
Rassismus, die Absage an Liberalismus und Sozialismus, der brutale
Kampf gegen politische Gegner sowie die Vorbereitung von Kriegen. Das
trifft auf die ukrainische Regierung nicht zu, auch wenn sie
rechtsnationale Mitglieder hat. Putin weiß das. Dennoch greift er zur
Faschismus-Keule. Einerseits spitzt er zu, andererseits verharmlost
er, spricht beispielsweise mit Blick auf sein eigenes Land von einer
»gelenkten Demokratie«, was ein Widerspruch in sich ist.
Wortakrobatik soll darüber hinwegtäuschen, dass Russland zu einer
verkappten Diktatur geworden ist, mit Putin als neuem Zar im Kreml.
Der Missbrauch von Begriffen und Wörtern ist keine russische
Eigenart. Auch in Deutschland verharmlosen, verschleiern und
dramatisieren Politiker, Vertreter von Wirtschaft und Militär mit
Sprache. Manager verwenden Nebelbomben wie »Negativwachstum« oder
»Gewinnwarnung«, um Folgen eigener Fehlentscheidungen zu kaschieren.
Oder sie sprechen zynisch davon, dass 1500 Mitarbeiter »freigesetzt«
werden, obwohl man sie schlicht feuert. Befehlshaber wiederum faseln
von »chirurgischer Kriegsführung«, um Militäreinsätze zu
verniedlichen. Sie reden von »bedauerlichen Kollateralschäden«, wenn
Zivilisten im Kampfgebiet getötet wurden. Wissenschaftssprache
anonymisiert die Toten. Wie das Beispiel Afghanistan zeigt, nimmt
kein deutscher Politiker das Wort Krieg gern in den Mund und redet
stattdessen drumherum. Er spricht dann lieber von
»Stabilisierungseinsatz« – bloß nicht das Kind beim Namen nennen! Mit
Blick auf das Wort »Krieg« stellen der Professor für Linguistik in
Bamberg, Martin Haase, und der Psychologe und Journalist Kai Biermann
in ihrem Buch »Sprachlügen« fest: »Es gibt wohl kein Wort, das in der
Politik so inständig vermieden, verschwiegen oder umgedeutet wird.«
Und das Erste, was in einem Krieg verschwinde, sei »die korrekte
Benennung desselben«.
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