Sie, knapp 30, ist aus Pakistan geflohen. »In
Deutschland, so dachte ich, bin ich sicher.« In ihrer Heimat ist sie
das nicht mehr, seit sie gegen den Willen ihres Vaters geheiratet
hat. Weil sie an ihrer Ehe festhielt, ließ der Vater zunächst ihren
Mann und dann noch zwei weitere Verwandte umbringen. Auch sie selbst
ist mehrmals nur knapp den gedungenen Mördern entkommen. Ihr
angebliches Verbrechen: Die junge Frau hat mit ihrer Hochzeit die
»Ehre« der Familie verletzt. Inzwischen ist sie sich nicht mehr ganz
so sicher, ob der lange Arm ihres Vaters nicht auch nach Deutschland
reicht. Drei mutmaßliche »Ehrenmorde« haben in kurzer Zeit ihr
Vertrauen erschüttert. Souzan Barakat aus Stolzenau, Arzu Özmen aus
Detmold und Fauzia A. aus Werther sind tot. Warum sie umgebracht
wurden, ist bis zum Urteil nicht endgültig geklärt. »Ehrenmord« ist
also nur ein Verdacht. Aber begründet. Eine von der
Bertelsmann-Verlagsgruppe Random House eingerichtete Internetseite
(www.ehrenmord.de) listet für 2011 insgesamt 27 Opfer auf. Frauen
sind in der Überzahl; aber auch Männer, die sie schützen, und Schwule
sind in Gefahr. Die Täter kommen meistens aus der Türkei und Ländern
des Nahen und Mittleren Ostens – Staaten, in denen der Islam die
vorherrschende Religion ist. Gleichwohl kann sich kein Täter auf den
Koran berufen. Dieser enthält zwar Passagen, die man als
frauenfeindlich bewerten kann. Aber von »Ehre« ist da nicht die Rede.
Davon abgesehen findet man Frauenfeindliches auch in anderen
religiösen Schriften bis hin zu den Paulusbriefen im Neuen Testament.
Und nicht zuletzt: Die mutmaßlichen Mörder von Souzan, Arzu und
Fauzia waren keine Muslime, sondern Jesiden – also Angehörige einer
ganz anderen, eigenständigen Religion. Es muss also andere Gründe
geben. Sie »kulturell« zu nennen verbietet sich angesichts einer
solchen Unkultur. Angeblich geht es um die Familienehre. Aber was ist
das für eine »Ehre«, deretwegen gemordet wird? Und was sind das für
Familien, die solche Verbrechen verüben? Beide Begriffe führen in die
Irre. Es geht nicht um Ehre, sondern um nackte Macht. Auch geht es
nicht um die Familie, sondern ausschließlich um den Patriarchen und
die von ihm abhängigen männlichen Familienmitglieder. Der Patriarch
ist es gewohnt, dass sich alle und insbesondere die Frauen seinem
Willen unterordnen. Dieser Anspruch ist so verankert, dass
Widerspruch als Angriff auf die eigene Person empfunden wird. Deshalb
sind diese Männer im Grunde Schwächlinge – ohne eigenes
Selbstbewusstsein. Nach außen erscheinen sie oft als angepasst. Nur
der engste Verwandtenkreis kennt sie wirklich. Diesem Kreis – vor
allem den Frauen – muss man vertrauen, wenn sie sich hilfesuchend an
die Polizei oder an Bekannte wenden. Das ist das erste Gebot und nun
wirklich eine Sache der Ehre – unserer Ehre. Diejenigen aber, die
unter ähnlichen Umständen nach Deutschland gekommen sind wie die
Täter und ihre Opfer, können nicht oft genug deutlich machen, auf
welcher Seite sie stehen.
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