Wer sind wir und wenn ja wofür? Wenn der Weg
unklar erscheint, ist es gut, eine Orientierung zu bekommen. Angela
Merkel hat der CDU in Leipzig einen Kompass mit auf den Weg gegeben.
Verlässlichkeit, Stabilität, Gerechtigkeit – die Vokabeln, die Angela
Merkel in ihrer Rede auf dem Bundesparteitag verwendet, sollen
beruhigend auf ihre nervöse CDU wirken. Sie selbst hält ganz bewusst
keine Blut-, Schweiß- und Tränen-, sondern vielmehr eine Brot- und-
Butter-Rede. Mindestlohndebatte? Der Kampf von Röttgen und von der
Leyen um die Nummer zwei hinter Merkel? Oder gar die Frage nach
Wahlpleiten oder dem schlechten Zustand der Regierungskoalition?
Viele Fragen, aber keine Antworten. Auch nicht in Leipzig. Warum?
Weil die Bundeskanzlerin höchst clever, aber auch aus Angst vor einem
Schlagabtausch es bereits vor dem Parteitag geschafft hat, alle
strittigen Themen mehr oder weniger abzuräumen. Sie musste das tun,
um Ruhe im eigenen Laden zu haben. Denn die CDU-Vorsitzende weiß sehr
genau, dass sie ihrer Partei zuletzt viel zugemutet hat. Rente mit
67, Ausstieg aus dem Wiedereinstieg in die Atomenergie, Mindestlohn –
das sind die drei wesentlichen Themen, an denen die Christdemokraten
noch immer schwer zu knabbern haben. Merkel will ihre CDU,
Deutschland und ganz Europa verändern. Das ist die Botschaft ihrer
Rede. Die Vision, die sie aufzeigt, lautet: Ein »Weiter so« kann es
nicht geben, weil die Welt sich »epochal« verändert. Sie fordert Mut
zum Umdenken. Und so rechtfertigt sie auch den Reformprozess, den sie
ihrer Partei in Höchstgeschwindigkeit zumutet. Merkel will die CDU so
umbauen, dass sie für alle wählbar ist. Ihr Ziel: die
Christdemokraten fit zu machen für die Bundestagswahl 2013 – weg von
einer Klientel- hin zu einer Themenpartei, die auf Grundlage von
Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und soziale
Marktwirtschaft handelt. Dass Merkels Lohnuntergrenzen in Wahrheit
nur Mindestlöhnchen sind und je nach Branche und Bundesland zum Teil
deutlich variieren, erwähnt die Kanzlerin ebenso wenig wie die
Tatsache, dass es ihr vor allem darum geht, die CDU im Hinblick auf
2013 koalitionsfähig für alle Parteien bis auf die Linke zu machen.
Nicht erst seit gestern wissen das auch die Grünen. Sie haben – man
höre und staune – der CDU angeboten, im Bundestag gemeinsam einen
Mindestlohn in Deutschland durchzusetzen. Von Leipzig wird das Signal
ausgehen, dass die CDU die Partei der Links-Mitte werden will. Das
klare Profil lautet: Wir sind für alle da. Ob das jedoch langfristig
gelingen kann, wird die Zukunft zeigen. Fakt ist: Auch wenn die
Beifallsstürme ausgeblieben sind, ist Angela Merkel die Gewinnerin
von Leipzig. Die CDU ist keine Partei ohne Kompass – sie ist eine
Partei mit Angela Merkel. Denn der Kompass ist die Vorsitzende
selbst.
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Andreas Kolesch
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