Der Nato-Gipfel in Lissabon ist viel
versprechend. Selten gab es so gute Voraussetzungen für eine
partnerschaftliche Beziehung zu Russland. Der US-Präsident und sein
russischer Kollege spielen hierbei die Hauptrollen. Präsident
Medwedew will Vertrauen schaffen, bei der Raketenabwehr kooperieren,
in Afghanistan zusammenarbeiten, den Nato-Russland-Rat reformieren
und russisch-westliche Friedensmissionen ermöglichen. Obendrein
möchte Medwedew das gegenseitige Feindbild abbauen. Auch der
US-Präsident ist gutwillig. Die Nato und Russland können einen
»Neustart« wagen, meint Barack Obama. Russland sei in Lissabon ein
Partner der Nato und kein Feind. Ein kooperatives Beziehungsgeflecht
zwischen der Nato und Russland könne Frieden und Sicherheit fördern
und helfen, die gemeinsamen Herausforderungen vereint zu bewältigen.
Denn die Nato braucht Russland: Energiesicherheit, Abrüstung und der
Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Terrorismus
und Umweltvernichtung sind ohne Russland undenkbar. In Afghanistan
und im Iran- und Nahost-Konflikt kommt der Westen ohne Moskau nicht
voran. Und Russland braucht auch die Nato: Da die Grenze zu China
einen strategischen Gefahrenherd bildet, wäre ein Andocken an die
westliche Sicherheitsstruktur ratsam. Inzwischen kommt sogar ein
potentieller Nato-Beitritt ins Gespräch. Wenn Russland die
Beitrittskriterien Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit
erfüllt, wäre die Aufnahme denkbar. Ex-Verteidigungsminister Volker
Rühe meint, Russlands Mitgliedschaft sei die »logische Vollendung der
transatlantischen Ordnung«, in der die Nato die tragende militärische
Institution bleibe. Sicherheit für Europa gäbe es nur mit und nicht
gegen Russland. Doch die russische Nato-Mitgliedschaft bleibt
Zukunftsmusik. In Lissabon geht es zunächst um eine engere und
vertrauensvollere Anbindung. Das allein wird schwer genug, denn
Medwedew und Obama müssen sich gegen Skeptiker und Kritiker
durchsetzen: Russische Nationalisten fordern die Rückkehr einer
starken Großmachtrolle, republikanische Senatoren torpedieren Obamas
Annäherungspolitik und osteuropäische Politiker können ihre Angst vor
Russland nicht überwinden. Obama, Medwedew und die
Nato-Ministerpräsidenten kommen mit besten Absichten nach Lissabon.
Außenminister Westerwelle spricht sogar von einem »Gezeitenwechsel«
und einem »historischen Schritt«. Es wäre eine Ironie der Geschichte,
wenn dieser gute Wille von russischen Neo-Imperialisten,
amerikanischen Blockadepolitikern oder osteuropäischen Skeptikern
boykottiert wird. Dann bliebe Russlands Anbindung an die Nato ein
frommer Wunsch, und der Kalte Krieg wäre immer noch nicht beendet.
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