Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Streikrecht in Kirchen

»Schlichten ist besser als richten«, sagt der
Volksmund. Das sollte erst recht für einen Fall gelten, bei dem
zentrale Träger der Gesellschaft wie die Kirchen und die
Gewerkschaften gegeneinander stehen. Immerhin stellt das gestrige
Urteil des Bundesarbeitsgerichts niemanden ganz ins Abseits.
Kirchliche Einrichtungen dürfen Tarifverträge weiter in
eigenständigen Kommissionen aushandeln. Allerdings, und hier kann
sich die Gewerkschaft als Sieger fühlen, sind Streiks nicht mehr
generell auszuschließen. Beide Seiten erklärten vor der gestrigen
Entscheidung, dass sie bei einer Niederlage Revision beim
Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte einlegen. Verdi hat bereits verzichtet. Auch die
Kirche täte gut daran, einen Einspruch noch mal zu überdenken. Es
geht beiden, Verdi und den Kirchen, um Grundsätzliches. Wie viele
Sonderwege darf es im demokratischen Rechtsstaat geben? Mühsam
erträgt die Gewerkschaft, für die Streik ein Grundrecht, ist, dass es
einen Sonderweg für Beamte geben muss. Da passen die Kirchen, die aus
ihrem besonderen Auftrag ein Sozialsystem ableiten, das auf Einigkeit
setzt, nicht ins System. Auch wenn Kampf, Streik und Erpressung in
der Bergpredigt nicht vorkommen: Die Erfahrung sagt, dass ohne sie
der Mammon zum Überleben nicht zu sichern ist. In der Vergangenheit
haben Caritas und Diakonie darauf verwiesen, dass sich ihre
Mitarbeiter mit den Arbeitsvertragsrichtlinien AVR finanziell besser
stellen. Das trifft für den Teil, der nach den alten AVR bezahlt
wird, wohl auch heute noch zu. Doch inzwischen führen manche Abwege
weg vom Sonderweg. Leiharbeit, Outsourcing und ähnliche Instrumente
des freien Arbeitsmarktes haben den glänzenden Lack beschädigt. So
mancher Leiter einer kirchlichen Sozialeinrichtung liest öfter in
Ratgebern für effektives Kostenmanagement als in der Bibel und im
Katechismus. Auch dafür gibt es Gründe. Die Krankenkassen nehmen bei
der Höhe der Kostenerstattung auf Sonderwege keine Rücksicht.
Letztlich hätten die meisten Mitarbeiter von einem dritten Weg, der
ohne Outsourcing auskommt, mehr gehabt. Die Chance zu einem solchen
Kompromiss ist wohl vertan. So müssen die Kirchen nun teilweise
zurückstecken. Ein Staat ist im Staat genug. Ansonsten könnten mit
gutem Recht auch andere Gemeinschaften unterschiedliche Sonderwege
einfordern; möglicherweise – Gott bewahre! – sogar Scientology.
Kommt nun die große Streikwelle? Vermutlich nicht. Verdi ist
innerhalb kirchlicher Einrichtungen kaum präsent. Zwar besteht
theoretisch ein hohes Erpressungspotenzial: Wer möchte schon
Patienten und Heimbewohner unversorgt sehen? Doch anders als
Fluglotsen, Zugführer und andere haben die Beschäftigten in
Krankenhäusern und Heimen das Streikrecht bislang nur zurückhaltend
und mit Augenmaß in Anspruch genommen.

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Andreas Kolesch
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