Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema „Flüchtlinge“

Syrien, Irak, Afghanistan, Zentralafrika, Sudan
– die Zahl lokaler Konflikte und militärischer Auseinandersetzungen
nimmt eher zu als ab. Mit der Destabilisierung ganzer Länder wird
auch die Zahl der Flüchtlinge wachsen. Das hat selbstverständlich
Auswirkungen auf Europa. Aber noch mehr auf die Anrainerstaaten. Wenn
Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele von einer angespannten Lage in
der Hansestadt aufgrund immer knapper werdenden Platzes für
Flüchtlinge spricht und nach einem neuen Verteilerschlüssel ruft,
muss man ihn anhören. Noch besorgniserregender als in deutschen
Großstädten ist das Problem im Libanon: 100 000 Syrer strömen jeden
Monat aus dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land dorthin, nach
Jordanien und in die Türkei – in der Hoffnung auf Hilfe. Doch den
Hilfsorganisationen geht mittlerweile das Geld aus. Die
Finanzierungslücke von derzeit 3,7 Milliarden US-Dollar (2,7
Milliarden Euro) für die Versorgung syrischer Flüchtlinge beeinflusse
die gesamte Region, warnt auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Der
Libanon mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern hat laut UNHCR allein
bereits mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen, die Türkei und
Jordanien jeweils 800 000 weitere. Die Weltbank schätzt, dass die
Syrien-Krise den Libanon 2,5 Milliarden Dollar (1,85 Milliarden Euro)
an verlorener Wirtschaftsleistung gekostet hat und dass 170 000
Libanesen dadurch unter die Armutsgrenze fallen könnten. Die
Bundesregierung hat zuletzt entschieden, in einem geregelten
Aufnahmeverfahren erneut 10 000 Syrer und damit insgesamt 25 000 aus
den Flüchtlingscamps aufzunehmen. Immerhin. Deutschland fliegt damit
mehr als doppelt so viele aus wie alle anderen westlichen Staaten
zusammen. Österreich steht mit 1500 Syrern an zweiter Stelle, gefolgt
von Schweden (1200) und Norwegen (1000). Aber selbst wenig kann nach
viel aussehen, wenn die Nachbarn fast gar nichts tun. Die Grenze nach
nun insgesamt 25 000 offiziellen Plätzen für syrische Flüchtlinge zu
ziehen, ist beliebig und orientiert sich keineswegs an der
Wirklichkeit. Denn 2,9 Millionen Syrer sind auf der Flucht. Der
Leidensdruck ist groß. Sie werden einen Weg finden, nach Europa zu
gelangen. Manche sterben dabei. 800 Bootsflüchtlinge sind in diesem
Jahr im Mittelmeer umgekommen. An der Aufnahme weiterer Flüchtlinge
führt kein Weg vorbei. Deutschland und Europa müssen aber jetzt eine
langfristige Strategie entwickeln, um dem immer größer werdenden
Flüchtlingsstrom zu begegnen. Die Augen zu verschließen und das Elend
vor den Toren Europas zu parken gehört nicht dazu. Aus gutem Grund:
51,2 Millionen Menschen sind laut UNHCR derzeit auf der Flucht.
Tendenz steigend. Eine erschreckend große Zahl, die deutlich macht:
Humanitäre Hilfe gehört ganz oben auf die Agenda.

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