Laut und vernehmlich hat Deutschland diskutiert,
ob die Bundeskanzlerin mit jährlich 290 000 Euro brutto ausreichend
bezahlt wird. Sigmar Gabriel warf die Frage als Erster auf. Peer
Steinbrück geriet sie wenige Wochen später zum Fettnäpfchen, dabei
war der SPD-Kanzlerkandidat bewusst missverstanden worden. In der
Sache waren sich die meisten einig: Angela Merkel hätte wahrlich mehr
verdient als ein Sparkassendirektor. Die Aufgeregtheit um Steinbrücks
vermeintliche Raffgier verstellte den Blick auf die Kernfrage: Warum
müssen die Einkünfte von Bankern, Managern und zahllosen Direktoren
öffentlicher Einrichtungen, Verbände und Organisationen so exorbitant
hoch sein? Klar: Dax- und Krankenkassenvorstände tragen Verantwortung
für Zehntausende und kassieren gern siebenstellig. Man kann das für
angemessen halten. Aber: Für einmal erreichte exorbitante
Managergehälter in Industrie und Finanzwesen gibt es selten einen
Rückwärtsgang. Das könnte sich jetzt ändern – zumindest massiv
gefordert werden. Der Erfolg des Schweizer Volksbegehrens zur
Regulierung von Managergehältern zwingt zum Umdenken. 67,9 Prozent
Beteiligung an einem Urnengang in der wahrlich langen Tradition von
Volksentscheiden in der Schweiz zeigen: Hier wurde ein Nerv getroffen
– auf einem Gebiet, auf dem auch Mitglieder unserer politischen
Klasse ziemlich schmerzfrei sind. Fazit: Kümmerer aller Länder
vereinigt Euch! Der Blick ins Portemonnaie anderer mag von einem
gewissen Voyeurismus getrieben sein. Wenn dabei aber Raffkementalität
und Eigensucht offenbar werden, ist klar, dass Empörung Verdruss und
Proteststimmen schürt. Stark anzunehmen: Die Schweizer
»Abzocker-Initiative« wäre hierzulande genauso erfolgreich gewesen.
Die Forderungen einer kleinen finanzschwachen Initiative aus
Schaffhausen haben das Zeug, eine schwammige Neiddebatte zu
strukturieren. Ausgehend von den unstreitig stattfindenden
Gehaltsexzessen in den Chefetagen börsennotierter Unternehmen dürfte
sich in den kommenden Monaten ein breiter Diskurs über gerechte und
ungerechte Entlohnung entwickeln. Hier wie in der Schweiz ärgern sich
die Menschen über Millionen-Geschenke in Form von Fangprämien oder
»Goldenen Handschlägen« zum Abschied. Auch Deutsche sähen zu gern bei
Zuwiderhandlungen Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis und hohe
Geldbußen für die Abzocker. SPD, Grüne und Linkspartei werden in
diesem Bundestagswahlkampf versuchen, die Bürgerlichen mit einer
Debatte über Armut und Hungerlöhne am unteren Ende der Gesellschaft
zu stellen. Mindestlohn, Aufstocker, Leiharbeit sind die Stichworte.
Das Frühwarnsystem Helvetia mahnt die Politik, auch aufs obere Ende
der Einkommensskala zu blicken. Und: Schwarz-Gelb benötigt dringend
eine umfassende Strategie zur alles und alle bewegenden
Gerechtigkeitsfrage.
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