Wer hätte das gedacht: Da suchen unsere
Politiker einen neuen Bundespräsidenten, da wird der ganz große
Konsens für einen gemeinsamen Kandidaten parteiübergreifend
beschworen – und keine 48 Stunden nach Beginn endet die
Präsidentensuche zwischenzeitlich in einem Desaster. Daran wird auch
die späte Einigung und vielleicht auch Einsicht gestern Abend nichts
ändern können. Egal, ob der neue Bundespräsident spätestens am 18.
März nun Joachim Gauck heißt oder nicht: Die Kandidatensuche wird in
die Geschichte der Bundesrepublik eingehen und darin ein trauriges
Kapitel einnehmen. Kurz nach dem Wulff-Rücktritt hatte
Bundeskanzlerin Angela Merkel noch betont, bei der Auswahl eines
Nachfolgers den parteiübergreifenden Konsens suchen zu wollen. Und
SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich bereit für »offene und faire«
Gespräche. Nur einen Tag später scheint es so, als wären sämtliche
Absichtserklärungen entweder nicht ernst gemeint gewesen oder niemals
geäußert worden. Denn was unmittelbar folgte, war der Beginn einer
Präsidentensuche, die nur noch als unwürdig bezeichnet werden kann.
Bereits am Freitagabend hatten sich die Parteivorsitzenden der
Koalition allein getroffen. Ziel war es, sich schnell auf einen
Kandidaten zu verständigen, um dann die Opposition einzubeziehen.
Spätestens als am Samstag die ersten Namen die Runde machten und
bereits zwei Absagen honoriger Kandidaten vorlagen, waren die
Aussagen von Freitag nur noch Schall und Rauch. Dabei hatten nach der
Wulff-Pleite alle Politiker betont, wie wichtig es sei, erstens eine
präsidiale Persönlichkeit zu finden und zweitens dafür zu sorgen,
dass das ohnehin schon beschädigte Amt nicht noch mehr Schaden nehmen
muss. Aber genau das Gegenteil ist nun der Fall. Angela Merkel hat es
versäumt, die Opposition frühzeitig einzubeziehen. Ihr Plan, sich
vorab mit der FDP und CSU zu einigen, ging schief – und führte
gestern sogar in die bisher größte Krise der Koalition – Ende offen.
Nicht besser die Opposition: Von »offenen und fairen« Gesprächen, die
Sigmar Gabriel in Aussicht gestellt hatte, konnte schon am Samstag
keine Rede mehr sein, als der SPD-Chef sich bereits auf Joachim Gauck
festgelegt hatte. Das Personalkarussell drehte sich in
Höchstgeschwindigkeit, das Geschacher um die Kandidaten nahm seinen
Lauf. Es wurden Namen genannt und wieder verworfen und damit am Ende
auch das höchste Amt im Staat erneut beschädigt. Angela Merkel und
ihr dritter Versuch, einen geeigneten Kandidaten für das höchste Amt
im Staat zu finden, ist beendet. In allerletzter Sekunde hat sie
ihren Kurs geändert. Sie wird sich Kritik gefallen lassen müssen. Ihr
wird erneut Führungsschwäche nachgesagt werden. Aber auch die größten
Kritiker werden ihr zugute halten, dass bei ihr die Einsicht gesiegt
hat – wenn auch spät.
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Andreas Kolesch
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