Angela Merkel hat gestern auf einer würdigen
Gedenkfeier eine gute Rede gehalten. Die gemeinsame Veranstaltung von
Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht
war so angemessen wie die Trauerbeflaggung und die Schweigeminuten im
ganzen Land. Aber das reicht alles noch nicht. Weil auch donnerstags
gehaltene Sonntagsreden, selbst gut gemeinte und wahr empfundene,
keine Gewähr dafür bieten, dass sich etwas ändert. Die Auftritte der
Hinterbliebenen haben noch einmal die ganze Ungeheuerlichkeit der
Neonazi-Mordserie verdeutlicht: Die Sicherheitsbehörden erweisen sich
als gleichermaßen unfähig und unwillig, die trauernden Angehörigen
müssen mit jahrelangen Verdächtigungen und Unterstellungen leben. Wie
alleingelassen muss man sich da fühlen, wie hilflos und abgelehnt.
Ja, es ist eine Schande für Deutschland, wie die Kanzlerin schon vor
gut drei Monaten sagte. Und die Bitte um Verzeihung von gestern ist
das Mindeste. Der Schock war groß, als der Hintergrund des Terrors
bekannt wurde. Aber dann wurde mit Leidenschaft über Lappalien wie
ein Bobbycar für Familie Wulff diskutiert, während Innenpolitiker
sich ohne größeres öffentliches Interesse über Verbunddatei und
Antiterrorzentrum verständigten. Vermutlich sind beide Maßnahmen
hilfreich. Aber mindestens so nötig ist der Kampf gegen Rassismus im
Alltag, gegen das offensive Auftreten von Rechtsextremisten und die
ständige Diskriminierung, der Menschen ausgesetzt sind, die nicht
„deutsch“ genug aussehen. Doch die politische Unterstützung für
Initiativen gegen Intoleranz fällt bescheiden aus. Da wird Rechts
gegen Links aufgerechnet und ein verwirrter Autobrandstifter schon
einmal zum Terroristen aufgebauscht. Und mit den Sarrazin-Anhängern
in den eigenen Reihen will man es sich wohl nicht ganz verderben.
Islamophobie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und mit
der Euro-Krise hat sich die Bereitschaft erhöht, auf alte
nationalistische Vorurteile wie „die faulen Südeuropäer“
zurückzugreifen. Die Gesellschaft müsse ein feines Gespür dafür
entwickeln, wann Ausgrenzung und Abwertung beginnen, hat die
Kanzlerin gestern gesagt. Das gilt erst recht für die Politik.
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