Am 20. Januar 1942, vor siebzig Jahren, wurden in
Berlin-Wannsee die organisatorischen Grundlagen für die vollständige
Vernichtung der Jüdinnen und Juden Europas festgelegt. Die
industrielle Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden ist und
bleibt ein unfassbares Menschheitsverbrechen, mit nichts in
Geschichte und Gegenwart gleichzusetzen.
Zorn, Scham und Trauer erfüllen uns, die Nachgeborenen, angesichts
der Tatsache, dass es den Nazis gelungen war, die deutsche
Gesellschaft zu einem Teil der Organisierung des Massenmordes zu
machen. Die Deutsche Bahn und Fuhrunternehmen haben den Transport in
die Todesfabriken organisiert und durchgeführt. Wehrmacht, Polizei,
SA und SS trieben die Menschen zusammen, Mediziner planten die
Vernichtung und wirkten daran mit. Richter und Rechtsanwälte
rechtfertigten die Vernichtung und nahmen aktiv am Raub jüdischen
Vermögens teil. Großkonzerne und Banken schlugen zusätzlichen Profit
aus dem System „Vernichtung durch Arbeit“. Unternehmen wie Degussa,
Siemens und die Deutsche Bank, IG Farben oder Thyssen und Krupp
profitierten aus Elend und Tod, sogar aus der Vernichtung selbst.
Zorn, Scham und Trauer erfüllen uns auch angesichts der Tatsache,
dass der Umfang und die Brutalität der Nazi-Verbrechen über
Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland eher verschwiegen und
verharmlost wurden. Ganze Bereiche der bundesdeutschen Gesellschaft
wurden vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts pauschal von ihrer
Verantwortung freigesprochen. Es dauerte lange, bis
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter entschädigt wurden, ehe die
Justiz Nazi-Verbrechen verfolgte, und noch länger wurde die Existenz
von „furchtbaren“ Richtern und Anklägern verschwiegen. „Wir haben
nichts gewusst, und wir konnten nichts tun“ – diese Ausflüchte
bestimmten über Jahrzehnte vor allem in Deutschland West das
öffentliche Bewusstsein. Bis heute steht die Aufarbeitung der
Verstrickung in Nazi-Verbrechen in großen gesellschaftlichen
Bereichen, von Ministerien und staatlichen Behörden, von Banken und
Großkonzernen aus. Der Schoß, aus dem das kroch, bleibt fruchtbar
noch, das erleben wir angesichts der rechten Terrormorde in diesen
Tagen.
Zorn, Scham und Trauer empfinden wir auch, weil
Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern gegen die
Nazi-Verbrecher der ihnen zustehende Respekt und die Anerkennung oft
und zu lange versagt wurden. Wir erinnern an mutige Juristen wie den
hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der Auschwitz vor Gericht
brachte. Wir danken Beate und Serge Klarsfeld für ihr Engagement,
auch für die Ohrfeige an Ex-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Diese
Ohrfeige war die Antwort auf das moralische und politische Versagen,
Schuld einzugestehen. Sie galt nicht nur der konkreten Person,
sondern einer politischen Klasse, die sich nicht mit ihrer
Verantwortung und ihrem Versagen auseinandersetzen wollte. Wie in Yad
Vashem die Mauer der Gerechten an die Namen und Taten derjenigen
erinnert, die Widerstand leisteten, ist solch eine Erinnerung in
Deutschland nötig. Es ist gut, dass das Holocaust-Mahnmal in Berlin
errichtet wurde.
DIE LINKE wird überall Faschismus, Rassismus und Antisemitismus
anprangern, ohne Ausnahme. Gerade angesichts des rechten Terrors in
unserem Land bekräftigen wir: Faschismus ist keine Meinung,
Faschismus ist ein Verbrechen! Das gilt überall, in unserem Land und
in Europa. Das Menschheitsverbrechen der Vernichtung der europäischen
Jüdinnen und Juden bestimmt auch unser Verhältnis zum Staat Israel.
Wir verstehen, dass sich die Vereinten Nationen angesichts der
Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden und der
Unfähigkeit und Unwilligkeit vieler europäischer Länder, ihnen zu
helfen, für die Gründung des Staates Israel entschieden haben. Wir
wollen das, was wir tun können, leisten, um dazu beizutragen, dass
Israel Seite an Seite mit einem lebensfähigen palästinensischen Staat
im Nahen Osten ein Beispiel für Aussöhnung setzt.
Nur wer sich erinnert und Schlussfolgerungen zieht, will aus der
Geschichte lernen.
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Hendrik Thalheim
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