Von Ulrich Krökel
Viktor Janukowitsch ist ein Mann von gestern. Das zeigte sein
zweiter öffentlicher Auftritt in Russland nach seiner Entmachtung
erneut. Über seinen behaupteten „legitimen Anspruch“, an die
Regierung in Kiew zurückzukehren, ist die Geschichte längst
hinweggegangen. Unsinn ist es auch, wenn Janukowitsch vom „Terror“
seiner Gegner spricht. Die Revolutionäre auf dem Maidan haben vom
Recht auf Widerstand gegen ein zutiefst korruptes, mafiaartiges
Regime Gebrauch gemacht. Allerdings gerät bei der Beurteilung der
Lage in der Ukraine nicht nur bei Janukowitsch und seinem
Schutzherrn, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, einiges
durcheinander, sondern auch in der deutschen und europäischen
Öffentlichkeit. Wenige Tage vor dem Krim-Referendum herrscht zwar zu
Recht Empörung darüber, dass Putin im Begriff ist, die
Schwarzmeer-Halbinsel in einem eklatant völkerrechtswidrigen
Gewaltakt zu annektieren. Nicht wenige Politiker und Beobachter
verwechseln jedoch das kompromisslose Vorgehen des Kremlchefs mit
Stärke. In Wirklichkeit handelt Putin aus Schwäche. Richtig ist, dass
Putin sein Ziel auf der Krim zunächst erreichen wird. Die Bewohner
der Halbinsel werden sich am Sonntag für einen Anschluss an Russland
entscheiden. Ohnehin hat das Parlament, das die Macht in Simferopol
illegal an sich gerissen hat, bereits Fakten geschaffen. Zur Not
werden Putins paramilitärische Einheiten den „richtigen“ Gang der
Dinge erzwingen. Die Interimsregierung in Kiew ist zu schwach, um
Gegenwehr zu leisten. Und auch der Westen wird aus guten Gründen
nicht militärisch eingreifen. Niemand in Berlin, Brüssel und
Washington wegen der Krim einen heißen Krieg riskieren. Doch was hat
Putin damit gewonnen? Die Annexion der Krim wird den russischen
Präsidenten teuer zu stehen kommen, auch wenn die Europäer mit
schmerzhaften Sanktionen zögern. Mittel- und langfristig wird
Russland dramatisch verlieren. Es ist gut möglich, dass Historiker
eines Tages die Krim-Krise als den Anfang vom Ende der Ära Putin
beschreiben werden. Denn das anscheinend so machtvolle Ausgreifen auf
die Krim wird Russland mit dem Verlust der übrigen Ukraine bezahlen,
die sich eher heute als morgen an den Westen binden wird. Dabei geht
es nicht mehr nur um das Assoziierungsabkommen mit der EU.
Geostrategen in Brüssel und Washington holen bereits die alten Pläne
für einen Nato-Beitritt der Ukraine wieder aus der Schublade. Diese
Überlegungen gab es schon einmal – nach der Revolution in Orange
2004. Damals überwog am Ende die Skepsis sowohl im Westen als auch in
der Ukraine selbst. Niemand außer US-Präsident George W. Bush wollte
Putin ausgrenzen. Das ist heute anders. Der Kremlchef provoziert mit
seiner Ukraine-Politik somit genau das, was er seit zehn Jahren
verzweifelt verhindern wollte: ein weiteres Vorrücken der westlichen
Militärallianz nach Osten. In den ostukrainischen Industrie- und
Wissenschaftszentren Donezk und Charkiw geben, anders als auf der
Krim, nicht prorussische Kräfte den Ton an. Vielmehr haben dort
Oligarchen das Sagen. Sie waren es, die Janukowitsch im Februar
fallenließen und damit den Sieg der Opposition erst möglich machten.
Das Ziel von Männern wie dem Stahl- und Kohlebaron Rinat Achmetow ist
es keinesfalls, sein Revier an Russland zu übergeben. Doch damit
nicht genug. Immer offensichtlicher geworden ist in den vergangenen
Monaten, dass Putin weder den Ukrainern , noch seinen eigenen Bürgern
ein attraktives Zukunftsmodell anzubieten hat. Russland verbreitet im
postsowjetischen Raum Angst statt Hoffnung. Damit ist auf Dauer
niemand zu überzeugen. Es gäbe also guten Grund, in den Hauptstädten
der westlichen Welt selbstbewusst mit Putin in den politischen Ring
zu steigen.
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