Die Wahl von Reinhard Kardinal Marx zum
Vorsitzenden der Bischöfe ist eine Überraschung. Eine positive dazu.
Der Erzbischof von München und Freising galt zwar – wie 2008 – als
aussichtsreicher Kandidat. Damals entschied sich die in Konservative
und Reformer gespaltene Bischofskonferenz aber noch für den
ausgleichenden Robert Zollitsch. Nun waren die Würdenträger aber
mutiger. Mit Marx wählten sie einen profilierten, selbstbewussten und
ambitionierten Kirchenmann – der einiges bewegen könnte. Das ist in
der derzeitigen Krise der katholischen Kirche dringend nötig. Sie
leidet immer noch an den Folgen des Missbrauchsskandals. In zentralen
Fragen von Ehe und Familie, so ergab jüngst eine Studie, entspricht
ihre Lehre nicht mehr der Lebensrealität ihrer Gläubigen. Da ist
zudem der noch ungelöste Fall des Limburger Bischofs Franz-Peter
Tebartz-van Elst, der das schon angeschlagene Vertrauen in die Kirche
noch mehr erschütterte. Und da sind immer drängendere Forderungen von
vielen Gläubigen nach einer Öffnung, nach Reformen. Marx ist zwar ein
Konservativer, aber er ist offen für Veränderungen. Das könnte ihm
auch helfen, widerstrebende Interessen in der Bischofskonferenz
auszugleichen. Mit 60 ist er kein Jungspund mehr, dem die älteren
Bischöfe misstrauen. Aber er ist jung genug, um auch die Jüngeren mit
ins Boot zu holen. Der Westfale aus Geseke gilt als
durchsetzungsstark, aber kompromissbereit. Er ist politisch,
redegewandt und medienaffin. Schon relativ früh ging er auf Distanz
zu Tebartz-van Elst. Offen zeigte er sich für das Zugehen auf
wiederverheiratete Geschiedene. Und Marx genießt das Vertrauen von
Papst Franziskus, der ihn als Berater berief. Der direkte Kontakt zum
Oberhaupt der Weltkirche mit mehr als einer Milliarde Gläubigen – der
als Südamerikaner den Blick nicht mehr verstärkt auf Europa hat –
kann nur von Vorteil sein, um deutsche Anliegen im Vatikan
vorzubringen. Nach seiner Wahl sprach der Erzbischof gestern von
einem „Aufbruch“, den Franziskus der Kirche beschert habe. Marx
könnte dafür sorgen, dass der frische Wind aus Rom auch hierzulande
weht.
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