Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Reform der Ökostromförderung Zeitmaschine Energiewende HANNES KOCH, BERLIN

Lassen wir uns von der Zeitmaschine kurz ins
Jahr 2044 transportieren. Der größte Teil des Stroms in Deutschland
kommt aus Wind- und Sonnenkraftwerken. Die Rotoren draußen auf dem
Meer sind inzwischen so leistungsstark, dass ihr Saft auch für die
vielen Elektroautos reicht. Wenn es dann mal wieder zu einer Krise
wie um die Ukraine kommt, können wir den Autokraten dieser Welt
entgegnen: Verbrennt euer dreckiges Gas und Öl selbst, wir brauchen
es nicht mehr. Wir haben unsere eigene Energie. Unabhängigkeit kann
von Vorteil sein. Die Energiewende mag dazu beitragen. Aus dem Jahr
2044 zurückgeblickt, dürfte unser heutiger Streit um
Zehntel-Cent-Beträge recht unbedeutend erscheinen. Nun aber rasch
zurück ins Jahr 2014. Die Richtung, die die Regierung einschlägt, ist
nicht schlecht. Wenn ihre Rechnung stimmt, wird die Ökoumlage, die
die Bürger und meisten Firmen für die erneuerbaren Energien bezahlen,
in den kommenden Jahren nur noch wenig steigen. 2020 sollen es sieben
Cent pro Kilowattstunde Strom sein statt heute 6,2 Cent. Das
erscheint verkraftbar. Die Aufregung der vergangenen Jahre könnte
sich legen. Dafür ist die Reform mitverantwortlich, die die
Bundesregierung am Dienstag offiziell beschließen will. Die Förderung
für Wind-, Sonnen- und Biomasse-Kraftwerke wird künftig nicht mehr so
großzügig fließen wie bisher. Das spart Geld. Die Zusatzbelastung
durch neue Ökoanlagen sinkt. Allerdings spielt auch eine Rolle, dass
diese heute schon viel effizienter arbeiten als früher. Manche
Windanlagen können mit Gas- und Kohlekraftwerken inzwischen locker
konkurrieren, billiger als Atomkraftwerke sind sie allemal. Dennoch
wäre es besser, wenn der Preis für die erneuerbaren Energien, den die
Bürger entrichten, nicht stiege, sondern stabil bliebe. Vermutlich
ließe sich das erreichen, indem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
die Ausnahmen für die Industrie stärker einschränkte. Denn über 2.000
Unternehmen müssen sich heute kaum an der Umlage für die
Ökokraftwerke beteiligen – die Privathaushalte und die Mehrheit der
Firmen tragen deshalb jedes Jahr rund fünf Milliarden Euro
zusätzlich. Gabriel aber traut sich nicht. Hoffentlich jedoch kann
ihn die EU-Kommission davon überzeugen, die Konzerne etwas stärker
zur Finanzierung der Energiewende heranzuziehen. In jedem Fall bleibt
auch für die kommenden Jahre einiges zu tun. Denn fatalerweise steigt
der Ausstoß klimaschädlicher Abgase aus deutschen Kraftwerken in
letzter Zeit wieder an – trotz des wachsenden Anteils der
erneuerbaren Energien. Außerdem muss sich die Bundesregierung genau
überlegen, wie sie die Ökokraftwerke in einigen Jahren noch fördern
will. Schließlich verlangt die EU den Übergang zu einem
marktwirtschaftlich organisierten System. Das ist keine leichte
Aufgabe, besonders, wenn man sicherstellen will, dass auch
Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften weiterhin eine Chance
haben. Wenn das alles einigermaßen funktioniert, erleben wir in 30
Jahren vielleicht, dass Energie für uns billiger ist als für andere
Staaten. Schließlich kosten Wind und Sonne nichts im Vergleich zu
Uran, Kohle, Erdöl und Erdgas, die man aus immer tieferen Löchern
fördern muss. So kann die Energiewende eine Zeitmaschine werden, die
uns in die Zukunft befördert – in eine gute Zukunft.

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