Schwäbische Zeitung: Freiwillig mit Helm – oder ohne – Leitartikel

Kleine Provokation: 48 Prozent der Menschen,
die durch einen Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten haben, waren
mit dem Auto unterwegs. 13 Prozent saßen auf einem Motorrad. Die
Fahrradfahrer waren mit einem Prozent beteiligt. Konsequenterweise
wäre zu überlegen, ob schuldlos in einen Unfall verwickelte
Pkw-Insassen nicht eine Schadenersatzminderung hinnehmen müssen, wenn
sie ohne Helm unterwegs waren. Dasselbe müsste für Fußgänger gelten.
Auch sie tragen ein erheblich höheres Risiko als die Radfahrer, eine
Kopfverletzung zu erleiden. Absurdistan? Ja, schon. Aber die
Beispiele deuten an, welche Türen und Tore sich möglicherweise öffnen
könnten, wenn alles im Sinne einer optimierten Sicherheit
reglementiert würde. Glücklicherweise hat der Bundesgerichtshof dies
ähnlich gesehen und einer verletzten Fahrradfahrerin vollen
Schadenersatz zugesprochen.

Wären die Richter zu einem anderen Ergebnis gekommen, so hätten
sie eine Helmpflicht durch die Hintertür eingeführt. Seit 40 Jahren
wird darüber debattiert. Im Jahr 2008 hat der Bundestag der
Versuchung widerstanden, die Fahrradfahrer zum Tragen eines
Kopfschutzes zu verpflichten. Unter anderem witterten die
Abgeordneten die Gefahr einer Überreglementierung. Die droht – als
deutsche Spezialität – an nahezu allen Ecken und Enden. Sie kommt
einerseits dem Sicherheits- und Ordnungsbedürfnis vieler Menschen
entgegen, andererseits nimmt sie Freiräume. Ein Staat, der seine
Bürger in den kleinen und kleinsten Dingen zu ihrem Glück zwingen
will, macht sie unglücklich.

Noch einmal zum konkreten Fall: Es mag ein Gebot der Vernunft
sein, dass Eltern ihre Kinder heutzutage nicht mehr ohne Kopfschutz
aufs Fahrrad lassen – und selber mit gutem Beispiel vorangehen.
Andererseits ist unbestritten, dass der Pflichthelm viele veranlassen
würde, ihr Rad künftig stehen zu lassen, vor allem im
innerstädtischen Bereich. Das wäre eine unerwünschte Nebenwirkung.
Summa summarum ist es gut, dass jeder selber entscheiden kann, wie
er–s hält mit dem Helm.

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