Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Bundeswehr

Unter dem Radar

von Reinhard Zweigler

Flugzeuge, die unter dem Radar, also in geringer Höhe fliegen,
sind für die jeweilige Luftabwehr eines Landes ein Gräuel. Der damals
18-jährige Mathias Rust flog mit einer Cessna vor über 30 Jahren
unter dem Radar der sowjetischen Luftwaffe und landete auf dem Roten
Platz in Moskau. Das war für die Sowjetarmee eine peinliche
Niederlage und beförderte deren Zusammenbruch. Rust jedoch wurde für
seine kühne, bis halsbrecherische Aktion gefeiert. Die Bundeswehr
scheint derzeit unter dem Radar der potenziellen Groß-Koalitionäre
von Union und SPD zu liegen. Im 28-seitigen Sondierungspapier werden
der Zukunft der Armee, der immer mehr internationale Aufgaben auf die
Schultern gelegt werden, nur ein paar dürre Sätze gewidmet. Man
könnte meinen, in der Truppe sei alles in Ordnung. Die immer
strahlende Ministerin Ursula von der Leyen, die am Sondierungspapier
mitgeschrieben hat, lobte sich selber für ein „gutes Fundament für
die Aufgaben der Bundeswehr“, das man nun gelegt habe. Viele Soldaten
und Offiziere sehen das allerdings ganz anders als die Inhaberin der
Befehls- und Kommandogewalt. Die Truppe muss sich täglich mit den
Tücken unzureichender Ausrüstung herumschlagen, muss improvisieren,
harten Einsatzbedingungen im Ausland trotzen und darf sich von nur
geringer Anerkennung in der Gesellschaft und nicht übermäßiger
Bezahlung nicht demotivieren lassen. Vielen Soldaten steht es derzeit
sozusagen Oberkante Unterlippe. Dabei ist die Lage zwiespältig. Auf
der einen Seite wird seit knapp vier Jahren wieder mehr Geld für
Ausrüstung, Ausbildung und Personal ausgegeben. Die Kürzungsorgien
der vergangenen Jahre sind vorüber, in denen die Bundeswehr als eine
Art fiskalischer Steinbruch galt. Zugleich wurden nach 1990 Soldaten
und Offiziere in nie gekanntem Ausmaß abgebaut, von mehr als einer
halben Million in der damaligen Bundeswehr auf unter 200 000 Männer
und Frauen, die in der Armee des vereinten Deutschlands inzwischen
nur noch dienen. Das Umsteuern unter Ministerin von der Leyen, das
durch volle Staatskassen erleichtert wurde, hat nicht dazu geführt,
all die Mängel, Strukturprobleme und Fehlentwicklungen der
vergangenen Jahrzehnte in und um die Bundeswehr herum zu überwinden.
Reformen in der Armee hat es etwa ein halbes Dutzend gegeben in den
vergangenen 28 Jahren. Doch auf einem soliden Fundament steht die
Bundeswehr deshalb heute noch nicht. Neue internationale
sicherheitspolitische Herausforderungen, neue technische
Entwicklungen wie die Digitalisierung – An Cyberkrieg war vor drei
Jahrzehnten noch nicht zu denken – oder demografische
Herausforderungen im Land selbst, halten das Anforderungsniveau an
die Bundeswehr hoch. Manchmal sogar zu hoch. Auf der anderen Seite
drücken die USA, nicht erst seit Donald Trump im Weißen Haus sitzt,
auf wesentlich höhere Verteidigungsausgaben der Nato-Mitglieder. Zwei
Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollten für die Armee ausgegeben
werden. Das würde für Deutschland einen Sprung von derzeit 37 auf
über 70 Milliarden Euro bedeuten. Das ist allerdings illusorisch und
politisch nicht durchsetzbar. Auch wenn die Union diese Zielgröße
insgeheim anpeilt. Der SPD jedoch, Grünen und Linken sowieso, geht
ein Draufsatteln auf den Wehretat in der von Washington angemahnten
Größe viel zu weit. Zu Recht, denn mit viel mehr Geld würden die
Strukturprobleme der Bundeswehr wahrscheinlich nicht gelöst, sondern
nur zugekleistert. Doch zu kritisieren ist nicht, dass sich Union und
SPD vor der Nato-Forderung wegducken, sondern dass sie die Bundeswehr
jetzt im Unklaren darüber lassen, womit sie in den nächsten vier
Jahren rechnen darf.

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