Ein Kommentar von Egbert Nießler
Deutschlands Wohlstand beruht im Wesentlichen auf dem hohen
Bildungs- und Qualifikationsstand seiner Bürger. Das hat uns nicht
nur zur Kulturnation, sondern auch zum Exportweltmeister gemacht. Um
dieses Niveau halten zu können, sind Investitionen nötig. Das hat die
Politik erkannt – und gehandelt. Tatsächlich steigen die Ausgaben für
den Bildungsbereich, wurden Studienzeiten verkürzt, steigt die Zahl
der Absolventen. Soweit die Statistik. In der Praxis bleiben die
Fragen, ob das Geld in unserem föderalen System auch effektiv
ausgegeben wird und wieso die Wirtschaft trotzdem immer lauter über
Fachkräftemangel klagt. Das mag zum einen an der immer noch recht
hohen Abbrecherquote gerade in den besonders gefragten
Ingenieursstudiengängen liegen. Vielleicht wären hier wie in anderen
Fächern Eingangsprüfungen hilfreich. Hohe Anforderungen schon vor
Studienbeginn bewahren häufig vor Irrtum bei der Berufswahl und
fördern nachweislich den Durchhaltewillen im Studium. Zum anderen
bedürfen gerade im Bildungsbereich Veränderungen auch der Zeit, bis
sie wirksam werden. Und möglicherweise müssen nach Schülern,
Studenten, Lehrkräften und Bildungsbürokraten auch die
Wirtschaftslenker umdenken, die jahrelang über Langzeitstudenten und
zu alte Absolventen geklagt haben. Jetzt erwarten sie von Einsteigern
um die Mitte 20 wenn möglich zehn Jahre Berufserfahrung und
bescheidene Gehaltsvorstellungen. Das passt nicht zusammen, sondern
hat zur Generation Praktikum geführt, die unbezahlt oder allenfalls
mit schwach dotierten Zeitverträgen einer unsicheren Zukunft
entgegensieht und zunehmend Frustrationen aufbaut. Die erhofften
Fachkräfte kommen auch nicht aus dem Ausland – weder im Pflegebereich
nach der Erweiterung der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit noch bei den
Hochqualifizierten. Im globalen Wettbewerb zählt Deutschland nicht zu
den attraktivsten Standorten. Alle bisherigen Versuche, daran etwas
zu ändern, haben kaum messbare Ergebnisse gezeitigt. Unsere
Bildungshausaufgaben können wir nur selbst erledigen. Und alle daran
beteiligten Seiten müssen sich weiter bewegen.
Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de