Deutschland wird wieder Nationalstaat. Wir sind
wieder wer. Wir Deutschen werden nicht mehr zwanghaft Europas Vorbild
sein und das mit unserem Scheckbuch teuer bezahlen. Nicht mehr länger
uns künstlich klein halten gegenüber den Nachbarn, den Holländern
etwa. Nicht mehr machen, was Frankreich sagt. Unser politisches
Auftreten wird unserer wirtschaftlichen Stärke entsprechen; endlich,
schließlich haben wir auch die schlagkräftigste Armee auf dem
Kontinent. Und wir bekommen unsere starke Mark zurück, trennen uns
endlich vom weichen Euro. Und müssen auch nicht mehr andere retten.
Unter unsere Geschichte, insbesondere diese zwölf Jahre, ziehen wir
einen Schlussstrich. Und so weiter. Diese Projektion, stille oder
weniger stille Sehnsucht für die einen, Schrecken für die anderen,
hatte eine Chiffre: Berlin, die Hauptstadt. Der Umzug von John le
Carrés so genannter „kleiner Stadt am Rhein“ in die
Millionen-Metropole an der Spree sei viel mehr als ein Tausch von
Gebäuden für Parlamentarier und Bürokraten. Ein politischer
Paradigmenwechsel: die Berliner Republik. Man muss diese Debatte von
vor 20 Jahren den Jungen und Halbjungen ab ungefähr Jahrgang 1980
noch einmal erzählen, alleine, um sie zum Staunen zu bringen. Sie
fahren nach „Mitte“, wo kein Berliner Spießer den Ton vorgibt,
sondern ein fröhliches, buntes Hautfarben- und Sprachengemisch
herrscht. Die Jugend Europas kennt heute zwei Sehnsuchtsorte, London
und: Berlin. Vielleicht noch Barcelona. Berlin, nicht der Prenzlauer
Berg, sondern der Hackesche Markt, ist Deutschlands (Entschuldigung!)
„place to be“. Wer die viel diskutierte Gentrifizierung, hier: den
Wandel vom Schmuddel-Kommunismus zum Kreativquartier studieren will,
reist hier hin, oder schlägt, wie die Essener Mercator-Stiftung, hier
ein Lager auf. Dieser Umzug von Bonn nach Berlin war nicht der
befürchtete oder erhoffte Bruch mit der deutschen
Nachkriegsgeschichte. Eine stabile, soziale Demokratie, fest
eingebunden in Europa (auch wenn der Atom-Ausstieg ein deutscher
Alleingang war), an der Seite Amerikas, auf gute Beziehungen erpicht
mit Moskau, das ist heute die deutsche Realität. Trotz Berlin. Oder
wegen Berlin? Fazit: Die aufgeregte Debatte um die „Berliner
Republik“ war gar nicht schlecht. Sie hat klar gemacht, was nicht
gewünscht war: eine Rückkehr Preußens. Bonns rheinische, weltoffene
Gelassenheit lebt nun in der neuen Hauptstadt fort.
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