Hat man sich erst einmal bequem eingerichtet in
den selbst gestrickten Legenden, so ist die Annäherung an die
Wirklichkeit ein Kraftakt. Dies gilt beim Blick auf das Vergangene im
Privaten wie auch bei der Erörterung der öffentlichen Probleme. Beim
Reden über die DDR führt dies dann zuweilen dazu, dass der Zuhörer
den Eindruck gewinnen muss, Nachbarn hätten in ganz unterschiedlichen
Ländern gelebt, obwohl sie gerade mal ein Maschendrahtzaun trennte.
Aber der subjektiv getrübte Blick bezieht sich nicht nur auf die
Realitäten im untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat. Er ist
inzwischen Allgemeinplatz bei dem, was mit der so wenig zutreffend
als Wende titulierten radikalen Umwälzung nach 1989 kam. Auch
deswegen ist die vom Landtag Brandenburg eingerichtete
Enquetekommission zu den Anfangsjahren des Bundeslandes von Bedeutung
weit über Potsdam hinaus. Die Erkenntnisse zur wirtschaftlichen
Entwicklung und das Nachdenken über die Gründe für die bis heute
großen Probleme sind lehrreich. Denn nirgendwo sonst ist die
Legendenbildung weiter vorangeschritten. Dies fängt mit dem
weitverbreiteten Eindruck an, Politiker – insbesondere
Landespolitiker – hätten tatsächlich entscheidenden Einfluss auf die
Entwicklung gehabt. An der einen oder anderen Stelle mag ein Manfred
Stolpe oder Kurt Biedenkopf den kleinen Unterschied gemacht haben.
Tatsächlich aber haben weder Ministerpräsidenten noch
Wirtschaftsminister viel vermocht. Daraus folgt fast schon zwingend,
dass eine Vielzahl der staatlichen Aktivitäten wenig nützten,
zuweilen sogar schadeten und dass dies aus Sicht der Experten bis
heute so bleibt. So wird in dem Rückblick nicht nur deutlich, dass
all die einfachen Polemiken, die die Schuld für die Misere
beispielsweise bei der Treuhand oder der Bundesregierung suchen,
wenig taugen. Klar wird auch, dass zuweilen weniger staatlicher
Aktionismus mit größerem Gewinn für alle verbunden gewesen wäre.
Diese nüchterne, fachlich begründete Analyse, die die Wissenschaftler
den Potsdamer Volksvertretern exemplarisch auch für die Kollegen in
Dresden oder Schwerin ins Stammbuch schreiben, ist das passende
Gegenmittel zur Vergiftung der politischen Diskussion.
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