DER STANDARD-KOMMENTAR „Sparen an der Demokratie“ von Michael Völker

Den Bundespräsidenten abschaffen, den Nationalrat
verkleinern, die Landtage umbauen, den Bundesrat anders beschicken.
Es mangelt nicht an Vorschlägen, wie die Instrumente der
Volksvertretung neu gestaltet werden könnten. Das ist gut. Und
gleichzeitig ganz schlecht.
Gut deshalb, weil tatsächlich Reformbedarf besteht und eine solches
Vorhaben auch den Druck der öffentlichen Debatte braucht. Ganz
schlecht deshalb, weil die Diskussion nicht die Notwendigkeit einer
Veränderung widerspiegelt, sondern von der Politik nur unter dem
Eindruck des Sparpakets geführt wird. An der Demokratie sparen zu
wollen, ist aber gefährlich.
Demokratie muss auch etwas wert sein, und es muss Politiker geben,
die in ihren Wahlkreisen auch mit der Bevölkerung in direkten Kontakt
treten können. Die gleichen, die jetzt Politiker abschaffen oder
reduzieren wollen, werfen diesen oft genug vor, abgehoben zu sein.
Richtig ist: Der Bundesrat ist unnütz. Er hat keine vernünftige
Funktion mehr, er gehört abgeschafft. Im Kontext mit dem Sparpaket,
das auf die Österreicher zukommt, ist das auch eine symbolische
Frage. Den Bundesrat aufzulösen bringt zwar keine große
Kostenersparnis, würde aber zumindest theoretisch den Sparwillen der
Regierung unterstreichen.
Da die Länder mit dem Bundesrat faktisch aber eine Möglichkeit haben,
in allen Angelegenheiten, die sie direkt betreffen, ein Veto
einzulegen, wird der Bundesrat wohl nicht aufgelöst, sondern nur
anders beschickt werden – mit Landtagsabgeordneten. Damit spart man
sich zwar 62 Bundesratsgehälter, aber letztendlich illustriert diese
halbherzige Lösung nur die Unentschlossenheit der Regierung.
Gleich dazu den Bundespräsidenten abschaffen und den Nationalrat
verkleinern zu wollen ist aber zu weit gegriffen. Über manches
Zeremoniell kann man streiten, aber tatsächlich hat der
Bundespräsident in Österreich nicht nur eine Rolle (die er gerne mit
großer Sorge und ernster Miene spielt), sondern auch eine Funktion.
Er kann bei der Regierungsbildung zumindest mitreden – und
theoretisch könnte er eine Regierung auch entlassen. Selbst dem
repräsentativen Selbstverständnis kann man etwas abgewinnen. Und die
Direktwahl durch das Volk ist allemal besser als der Politpoker in
Deutschland, mit dem Figuren wie Christian Wulff ins Amt gehievt
werden.
Natürlich gibt es faule Abgeordnete, die sich gerne in die Rolle als
willfähriges Abstimmvieh fügen – unter den 183 Abgeordneten im
Nationalrat aber die Minderzahl. Auch wenn die Gesetze nach wie vor
woanders, nämlich in den Ministerien, gemacht und dem Parlament
schließlich oktroyiert werden, ist die Arbeit der Abgeordneten mehr
geworden, was sich auch an der Zahl der Ausschüsse zeigt.
Wenn man den Begriff Volksvertreter ernst nimmt, muss man diesen
zugestehen, sich auch bei ihren Wählern blicken zu lassen. Derzeit
kommen auf ein Mandat im Schnitt 26.700 gültige Stimmen. Das kann man
so lassen.
Eine Reform braucht es aber jedenfalls, und zwar eine in Richtung
Persönlichkeitswahlrecht. Das Parlament braucht mündige und
selbstbewusste Abgeordnete, nicht bloß brave und abhängige
Parteisoldaten. Darüber sollte man dringend reden. Aber erst, wenn
das Sparpaket endlich unter Dach und Fach und der Kopf wieder frei
ist für eine nüchterne Diskussion abseits politischer und
populistischer Tausch- und Tagesgeschäfte.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70/445

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