Norbert Röttgen ist nicht mehr »Muttis
Klügster«. Die bitterste Niederlage seiner bisherigen Polit-Karriere
ist gleichzeitig eine Katastrophe für die CDU. Röttgens Woche endet
wie sie begann. Erst wird er von der Kanzlerin zurückgepfiffen, dann
patzt er bei einem Fernsehauftritt, scheitert mit der Kürzung der
Solarförderung und tritt als Landesvorsitzender nach dem mit Abstand
schlechtesten Ergebnis in der Geschichte der CDU in
Nordrhein-Westfalen zurück. Der Herausforderer muss sich am Wahltag
gefühlt haben wie Bayern München nach der Pleite gegen Borussia
Dortmund im DFB-Pokal-Endspiel: gedemütigt, vorgeführt, blamiert.
Nach diesem Ergebnis war sein sofortiger Rücktritt nicht mehr zu
vermeiden. Wer hätte das gedacht: Die Union mit dem
Bundesumweltminister als Spitzenkandidat scheitert deutlich an der
30-Prozent-Hürde. Vor sieben Jahren hatte die CDU noch 44,8 Prozent
der Stimmen geholt. Norbert Röttgen »knackte« sogar den Negativrekord
aus 2010 (34,6 Prozent). NRW hat den Absturz eines Überfliegers
erlebt. Nach dieser Niederlage wird kein Mensch mehr davon sprechen,
dass Röttgen Merkel im Kanzleramt ablösen könnte. »Muttis Klügster«
wird aufgrund seines Pleiten-, Pech- und Pannenwahlkampfes sogar in
den eigenen Reihen als »Muttis Dümmster« verhöhnt. Beides ist
übertrieben, aber dennoch: Röttgen hat viele Fehler gemacht. Sein
größter war, dass er sich zu keiner Zeit eindeutig zu NRW bekannt
hat. Die Gewinner dieser Wahl heißen Hannelore Kraft, FDP-Landeschef
Christian Lindner und die Piraten. Die alte und neue
Ministerpräsidentin hat das Land zu ihrer Herzensangelegenheit
gemacht. Ihre kumpelhafte, menschliche Art reichte, um Röttgen zu
besiegen. Ihm fehlte es zu jeder Zeit an Glaubwürdigkeit. Krafts
Verschuldungspolitik war offenbar nicht so entscheidend. Auch das ist
eine Erkenntnis dieser Wahl. Die FDP kann sich bei Christian Lindner,
aber auch bei Norbert Röttgen bedanken. Lindner und Kubicki sind
jetzt die Retter der Liberalen. Parteichef Rösler wird davon aber
nicht profitieren, weil er selbst zu schwach ist. In Röttgen hat
Angela Merkel zwar einen Konkurrenten weniger, aber dafür wird das
Regieren für sie schwerer. Problem Nr. 1: Röttgen und Rösler, die
wichtigsten Minister bei der Umsetzung der Energiewende, sind
angeschlagen, ihr Verhältnis zu Merkel ist zerrüttet. Problem Nr. 2:
Nach der Wahl strotzt die SPD vor Kraft und drängt auf den Wechsel im
Bund. Problem Nr. 3: Morgen trifft sich die Kanzlerin das erste Mal
mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Der Sozialist
kommt mit doppeltem Rückenwind nach Berlin. Für ihn war das Ergebnis
aus NRW ein Steilpass. Schwere Zeiten also für Angela Merkel. Die
NRW-CDU hat andere Sorgen: Sie muss sich einen neuen Vorsitzenden
suchen.
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