Gestillte Sehnsüchte
Welche personellen Erschütterungen die Wahl in Nordrhein-Westfalen
auslöst, wird sich weisen. Klar ist dreierlei: Erstens rückt die alle
und alles überstrahlende Wahlsiegerin Hannelore Kraft endgültig in
die Riege des SPD-Spitzenpersonals auf. Kanzler-Kandidatin gar? Aus
der Troika Gabriel-Steinbrück-Steinmeier ist ein Quartett geworden,
ob die 50-Jährige nun will – oder nicht, wie sie im Scheinwerferlicht
glaubwürdig betonte. Öffentliche Erwartungen und auch partei-interne
haben freilich schon manchen Vorsatz über den Haufen geworfen. Umso
mehr als Kraft bewiesen hat, dass die SPD Wahlen gewinnen kann, wenn
sie von der Spitze weg verlässlich, bodenständig und bedachtsam
agiert. Kraft hat die Sehnsucht nach solchen Eigenschaften, in Zeiten
atemloser Nachrichten- und Medienhystrie gerne als Sekundärtugenden
belächelt, zu ihrem Markenkern gemacht. Zweitens dürfte gestern nach
den Kochs, Oettingers, Wulffs der Stern eines weiteren
CDU-Hoffnungsträgers verglüht sein: Wer setzt nach einem derartigen
Debakel noch auf eine große bundespolitische Karriere Norbert
Röttgens, der in seinem Heimatland kein Land sah? Womöglich geht
Röttgen in die Geschichte ein als der Spitzenkandidat, der nach einer
Wahl in Rekordzeit zurücktrat: zwölf Minuten nach Schließung der
Wahllokale. Respektabel, wohl. Doch was blieb ihm übrig? Derweil
erlebt, drittens, die FDP die zweite Phase ihrer Wiederbelebung. Vor
ihrem Ergebnis steht eine Acht, und das grenzt angesichts der
Stimmung noch vor wenigen Wochen an ein Wunder. Christian Lindner hat
– in Distanz zu Berlin – der FDP den Glauben an sich und an die
Daseinsberechtigung eines deutschen Parteien-Liberalismus–
zurückgegeben. Das wird ihn an die Spitze der Bundes-FDP führen. Zu
Zeiten, als die Parteienlandschaft noch übersichtlicher war, hieß es,
wer die Macht an Rhein und Ruhr besitze, werde bald auch im Bund
regieren. Schon jetzt für 2013 Angela Merkels Götterdämmerung zu
prophezeien, wäre jedoch zu kühn, dazu war zu viel Landespolitik im
Spiel. Im Übrigen haben Rheinländer und Westfalen eine zweite
ur-deutsche Sehnsucht gestillt: die nach klaren Verhältnissen. Rot
und Grün – letztere mit einem Ergebnis auf dem Boden der Tatsachen –
kommen auf mehr als 50 Prozent. Da spielen die Piraten bei allem
Hype, den sie machen und der um sie gemacht wird, als fünfte Kraft im
Düsseldorfer Landtag vorerst doch eine bescheidene Rolle. Eine
freilich, mit der sich die Linke gestern schon beschieden hätte. H
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